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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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bin darüber ganz froh, denn ich habe überhaupt keine Lust, irgendwem zu begegnen.
    Wenig später, Maria frisiert mich gerade, klopft es an der Tür. Ein junges Hausmädchen platzt herein. » Da ist ein Bote an der Tür. Mit einer Nachricht für Sie, Senhorita Isabel. Er sagt, er habe Anweisung, auf eine Antwort zu warten. «
    Nicht schon wieder so ein Aasgeier!, denke ich, während ich zu dem Mädchen sage: » Ich komme gleich. «
    Â» Er sagt, er kommt aus Rio « , fügt sie wichtigtuerisch hinzu.
    Sofort werde ich hellhörig. Vielleicht ist es ein Brief von Alice. Oder, ich wage es kaum zu hoffen, von Lu? Rasch ziehe ich mir einen Morgenmantel über und laufe mit halb geflochtenem Zopf nach unten. Meine Eltern, die solche Boten normalerweise abfangen, sind nirgends zu sehen. Vage erinnere ich mich daran, dass sie von irgendwelchen Erledigungen in Vassouras gesprochen haben.
    Â» Ja bitte? « , sage ich, als ich an die Haustür trete.
    Der Blick aus den honiggoldenen Augen trifft mich so unerwartet, dass ich beinahe in Ohnmacht falle. » Psst! « , raunt er mir leise zu und reicht mir einen Umschlag.
    Â» Ich habe eine Nachricht für Sie, Senhorita « , sagt er so laut, dass unsere neugierigen Sklaven es hören können. » Meine Senhora, Dona Aldemira, hat mir aufgetragen, Ihre Antwort abzuwarten und mit zurückzubringen. «
    Â» Aber ja doch. Warte einen Moment, bitte. « Zitternd nehme ich das Kuvert entgegen und ziehe mich in die Eingangshalle zurück, um den Einzeiler zu überfliegen.
    Komm heute Nachmittag um vier zum See, lese ich.
    Das erfordert eigentlich keine Antwort, denn um nichts in der Welt würde ich dieses Rendezvous verpassen. Aber um unsere kleine Darbietung glaubwürdig wirken zu lassen, denn den Augen der Sklaven entgeht nichts, kritzele ich eine Antwort: Ich liebe dich!
    Ich gehe zurück an die Tür und reiche Lu den Umschlag. » Bestell Dona Aldemira schöne Grüße und sag ihr, dass sie auf mich zählen kann. « Es fällt mir schwer, Lu nicht um den Hals zu fallen und sein inzwischen fast verheiltes Gesicht mit verliebten Küssen zu bedecken. Es fällt mir ebenfalls schwer, nicht lauthals zu lachen– dass Lu sich als Bote tarnt, erinnert mich nur allzu deutlich an den Tag, als ich mit demselben Trick bei Alice aufgekreuzt bin. Da ich Lu davon nie erzählt habe, ist das doch ein weiterer Beweis dafür, wie sehr wie uns ähneln, wie unglaublich seelenverwandt wir sind. Lu denkt, handelt und fühlt genau wie ich. Wenn er nicht » meinesgleichen « ist, wer dann?
    Die Stunden, die bis zu unserem Treffen am See noch vor mir liegen, ziehen sich endlos in die Länge. Ich habe große Schwierigkeiten, meine Nervosität und meine Vorfreude vor den anderen zu verbergen. Als meine Eltern aus Vassouras zurückkommen, merken sogar sie, dass sich etwas verändert hat. Zum Glück ziehen sie die falschen Schlüsse.
    Â» Du siehst heute so fröhlich aus, Schatz « , begrüßt meine Mutter mich und drückt mir zwei Küsschen auf die Wangen.
    Â» Das liegt sicher an dem schönen Wetter « , mutmaßt mein Vater. » Dieser tagelange Regen kann einem ja mächtig aufs Gemüt schlagen, nicht wahr? «
    Â» Ja « , bestätige ich, » die Sonne weckt meine Lebensgeister. Ich denke, ich werde nachher sogar einmal ausreiten. Ich habe schon viel zu lange hier herumgelungert– die frische Luft wird mir guttun. «
    Â» Bestimmt wird sie das « , sagt meine Mutter und wirft meinem Vater einen vielsagenden Blick zu. Hat sie eine Vermutung? Hat sie Angst, ich könne bei meinem Ausritt wieder auf Abwege geraten? Will sie mir womöglich einen Aufpasser mitschicken? Ich bete, dass sie bis vier Uhr abgelenkt sein wird und die ganze Sache vergisst. Sie ist sonst auch gern mal ein bisschen schusselig, und ich hoffe, dass es heute genauso ist.
    Als es so weit ist, kommt mir ein glücklicher Zufall zu Hilfe: Meine Eltern halten beide eine ausgedehnte Siesta, denn der morgendliche Ausflug hat sie ermüdet.
    Mucksmäuschenstill tapere ich durchs Haus, verabschiede mich von Maria und verspreche ihr, dass ich vor Sonnenuntergang wieder zu Hause bin.
    Â» Ich weiß nicht, was Sie im Schilde führen, Sinhazinha, aber es ist bestimmt nichts Gutes « , sagt sie mit unheilvoller Stimme. Allerdings sagt sie es sehr leise, ich darf also annehmen, dass sie auf meiner
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