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Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Titel: Die Falschmünzer vom Mäuseweg
Autoren: Stefan Wolf
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1. Wintersport am AFFENZAHN
     
    Hinter dem Dorf Dengenbach, wo
sich wochentags die Füchse Gute Nacht sagen, buckelt sich die Landschaft mit
immer höheren Hügeln, als wollte sie die Ausflügler darauf hinweisen, dass es
gleich noch höher wird.
    Die Ausflügler kommen am
Wochenende, fast alle aus der Großstadt. Und was da noch höher wird — das ist
der Butterberg. Mit Molkereibutter hat er nichts zu tun, aber er heißt nun mal
so und verfügt über den weithin bekannten AFFENZAHN.
    Eine riesenhafte Schrunde ist
das, eine lange, breite Spalte, wie mit dem Messer in die Nordseite
geschnitten, vom Gipfel bis unten hin. Im Winter vereist diese felsige Rinne.
Dann gibt es im Umkreis von 300 Kilometern keine bessere Rodelbahn und —
besonders für Kinder — kein größeres Vergnügen.
    Rodler von mittlerem Format
steigen bis zur Hälfte hinauf und fahren von dort ab. Wagemutige geben ein
Stückchen zu; aber man sieht ihnen an — trotz rot gefrorener Gesichter dass sie
Herzklopfen haben.
    Die vier TKKG-Freunde stiegen
an diesem Sonntagnachmittag noch höher hinauf — bis dorthin, wo der AFFENZAHN
endet.
    Tarzan zog einen der beiden
Schlitten, die sie in Dengenbach bei einem Sportgeschäft für teures Geld
geliehen hatten. Den zweiten Schlitten zogen Karl und Klößchen gemeinsam. Als
weiße Wolke stand ihnen der Atem vor dem Mund. Und Klößchen, der bekanntlich zu
viele Pfunde mit sich rumschleppt, vergoss manchen Schweißtropfen in den
kristallklaren Schnee.
    Gaby, das einzige Mädchen in
der vierköpfigen Bande, genoss den Vorzug, ein Mädchen zu sein. Sie zog
überhaupt keinen Schlitten. Dass sie hinter Tarzan den AFFENZAHN hinaufstapfte,
reichte als Anstrengung. Sie war ein bisschen erhitzt. Aber das stand ihr
ebenso gut wie der neue, marineblaue Skianzug: Ein kleidsamer Overall mit
wattierter Jacke. Auf dem langen, goldblonden Haar trug sie eine hellblaue
Pudelmütze und ihre Ponyfransen — wie immer ein wenig zu lang — waren in der
Kälte vereist.
    »Uff!« Klößchen schnaufte.
»Dieser AFFENZAHN schafft mich. Das ist jetzt das dritte Mal, dass ich ihn
aufwärts bezwinge. Und runter geht’s dann immer so schnell — wie mit nem
Affenzahn.«
    »Zieh auch mal ein bisschen!«,
knurrte Karl. »Den Schlitten und dich — das ist mir zu viel.«
    »Du tust ja so, als säße ich
drauf«, maulte Klößchen. »Jedenfalls ziehst du nicht! Deine Feine hängt durch.«
»Nur weil du so rennst. Meine Beine sind kürzer.«

    Das stimmte. Wo Karl einen
Schritt machte, brauchte Klößchen zwei. Denn der eine war lang und dünn, der
andere aber kurz und rund. Vor einem Schlitten nicht gerade das ideale Gespann.
    Tarzan, der als Supersportler
kaum Müdigkeit kannte, hatte seinen Vorsprung zu weit ausgedehnt. Er blieb
stehen. Mit den Fingern striegelte er zu Kristall erstarrten Schnee aus seinen
braunen Locken.
    »Was ist denn, ihr Schnecken?«,
rief er lachend. »Keine Lust mehr? Wird sowieso die letzte Abfahrt. Dann müssen
wir zurück.«
    Gaby holte ihn ein. »Eine alte
Frau ist kein D-Zug, du Angeber. Außerdem haben meine Stiefel glatte Sohlen,
deine haben Profil.«
    »Setz dich auf den Schlitten,
alte Frau. Wenn die gebrechlichen Füße nicht mehr wollen — dann ziehe ich dich
eben.«
    »Das schaffst nicht mal du«,
meinte sie zweifelnd.
    Sie sagte das ohne
Hintergedanken und spekulierte weiß Gott nicht darauf, dass er sein Angebot
wahrmachte. Aber Tarzan fühlte sich an der Ehre gepackt. Dass er eine
Herausforderung ungenutzt ließ, passte nicht zu ihm.
    Tarzan schickte einen
abschätzenden Blick bergan.
    »Bis oben hin mit dir auf dem
Schlitten in weniger als zwei Minuten! Wetten?«
    »Schaffst du nie!«, rief Karl.
    »Das schafft keiner!«, rief
Klößchen.
    Beide waren herangekommen.
    »Du nimmst die Zeit, Karl«,
bestimmte Tarzan. »Mal sehen, ob ich die alte Dame rechtzeitig ins Ziel
bringe.«
    »Wenn du’s unbedingt willst.«
Die »alte Dame« zögerte noch. Dann setzte sie sich kopfschüttelnd auf den
Schlitten — mit ihren 13 Jahren sicherlich die jüngste alte Dame, die man
jemals den AFFENZAHN hinaufgezogen hatte.
    »Wenn Gaby dir zu leicht ist«,
rief Klößchen, »kannst du mich ziehen. Dafür verlängern wir die Zeit.«
    »Ein Kavalier wirst du nie«,
sagte Tarzan. »Außerdem haben deine Sohlen Profil. Karl, was ist? Gib den
Startschuss!«
    »Moment!«
    Zunächst polierte Karl seine
Brille, die recht häufig beschlägt. Dann hielt er sich die Armbanduhr dicht vor
die Nase, um den Sekundenzeiger gut
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