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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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ich es lieber als ein Zeichen des Himmels. Das trübe Wetter spiegelt nämlich recht deutlich meine Stimmung wider. Alles erscheint mir grau in grau. Meine Trauer ist so zäh wie der Schlamm, der die Wege unpassierbar macht. Ich habe die große Liebe gefunden– und sie sofort wieder aufgeben müssen. Für Lu ist kein Platz in meinem neuen alten Leben.
    Dabei war meine Freude zunächst riesengroß, als ich nach Hause kam. Ich wurde zwar mit ermahnenden Worten und strengen Blicken empfangen, gleichzeitig jedoch so innig umarmt und geküsst, dass aller Kummer– auf beiden Seiten– fürs Erste vergessen war. Diese Herzlichkeit, wie sie meine Eltern nie zuvor so deutlich gezeigt hatten, umhüllte meine verletzte Seele wie Balsam. Meine Mutter, deren oberstes Gebot im Leben immer die contenance war, die Selbstkontrolle, ist in Tränen ausgebrochen und war einem Zusammenbruch nahe. Mein Vater hat mir auf den Rücken geklopft und mich so nachsichtig behandelt, als sei ich eine verwöhnte Fünfjährige, die sich verirrt hatte und die es nun zu schonen galt. Maria hat mich so fest an sich gequetscht, dass ich beinahe erstickt wäre, und große Aufregung herrschte auch unter den anderen Sklaven, denn es hatte sich wohl herumgesprochen, was ich in meiner Abwesenheit alles getan hatte.
    Nach dem Stille-Post-Prinzip waren aus ein paar harmlosen Gerüchten nach und nach wilde Spekulationen und schließlich Tatsachen geworden.
    Â» Die Nichte meiner Cousine lebt auf Bela Vista, und die hat mit eigenen Augen gesehen, wie unsere Senhorita Isabel mit der Pistole auf Dom Fernando losgegangen ist « , hörte ich eine alte Magd erzählen, als ich einmal unbemerkt an der Küche vorbeiging.
    Â» Sie ist von einem schwarzen Kämpfer gegen die Sklaverei verschleppt worden und der hat sie zu seiner eigenen Sklavin gemacht « , behauptete ein Feldarbeiter, den ich zufällig hörte, als ich in der senzala jemanden suchte.
    Diese letzte Vermutung war diejenige, an der sich die Fantasie der Leute, vor allem die der Weißen, am meisten entzündete. Man glaubte wohl, ich sei eine Art Lustsklavin von Lu gewesen und sei nun schwanger mit seiner dunkelhäutigen Brut. Meine Eltern sprachen den Verdacht nicht laut aus, aber sie ließen einen Arzt kommen, angeblich, um meinen allgemeinen Zustand zu prüfen und mir ein kräftigendes Tonikum gegen meine Mangelerscheinungen zu verschreiben. Leider überprüfte er auch die intimsten Stellen meines Körpers: Es galt festzustellen, ob meine Jungfräulichkeit noch intakt war.
    Obwohl der Arzt meinen Eltern versicherte, meine Unschuld habe keinen Schaden genommen, wollten die Gerüchte einfach nicht aufhören. Für ein junges Mädchen aus gutem Hause ist solches Gerede tödlich. Kein anständiger Mann will eine Frau heiraten, die sich vor der Ehe mit anderen Männern herumgetrieben hat. Mir selbst war und ist es nicht wichtig, was die Leute denken. Auch mein stark gesunkener Wert auf dem Heiratsmarkt ist mir egal, denn ich will ohnehin keinen anderen als Lu.
    Aber für meine Eltern ist es ein herber Schlag. Sie hatten all ihre Hoffnungen darauf gesetzt, dass ich eine gute Partie mache, wobei » gut « gleichbedeutend mit » steinreich « ist. Nun betreiben sie Schadensbegrenzung, indem sie all ihre Freunde und Bekannten wissen lassen, dass ich unversehrtzurückgekehrt bin. Es ist mir zuwider, dass alle Welt sich mit meinen privatesten körperlichen Details zu beschäftigen scheint. Was geht es zum Beispiel die Senhora Campos oder den Senhor Ribeiro an, ob ich noch Jungfrau bin oder nicht?!
    Meine Eltern haben absolut nichts aus ihren Fehlern gelernt.
    Immer und immer wieder führen wir das gleiche klärende Gespräch, wobei die Wortwahl auf beiden Seiten am Tag meiner Rückkehr noch deutlich vorsichtiger und wohlwollender war als heute.
    Â» In ein paar Monaten, spätestens nächstes Jahr ist Gras über die Sache gewachsen « , meint mein Vater. » Dann können wir uns erneut nach einem geeigneten Kandidaten für dich umsehen. «
    Â» Vielleicht überlasst ihr mir diesmal die Auswahl « , werfe ich ein. » Euer Urteilsvermögen ist ja leicht… getrübt. «
    Â» Sprich nicht so mit deinem Vater, Isabel! « , herrscht meine Mutter mich an. » Auch wenn du nach deinen Eskapaden glaubst, mehr über die Welt zu wissen als wir, so hast du nicht das
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