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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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von einem bösen unterscheiden kann. Ich lege keinen Wert darauf, dass er weltgewandt und weitgereist ist, solange er die Dinge, die in seiner Welt passieren, durchschaut und versteht. Und es ist mir völlig egal, ob er gepflegte Konversation machen kann oder nicht, weil es mir viel mehr auf das Was ankommt als auf das Wie. Und was Lu zu sagen hat, ist tausendmal spannender und klüger als das dumme Geschwätz der meisten vornehmen Leute.
    All das würde ich meinen Eltern gern erklären, aber ich weiß, dass es keinen Zweck hätte. Sie wollen gar nicht sehen, was in ihm steckt– sie sehen nur seine Hautfarbe, und die ist in ihren Augen der schlimmste Makel, den ein Mensch nur haben kann.
    Dabei ist es unter anderem Lus schöne hellbraune Haut, an die ich immerzu denken muss, wenn ich nachts im Bett liege und mich meinen Träumen hingebe. Seine Haut fühlte sich so samtig und weich an, dass ich ihn gerne richtig gestreichelt hätte– ohne Stoff dazwischen und auch an Stellen, über die ein wohlerzogenes Mädchen nicht nachdenken sollte.
    Als ich Lu zuletzt gesehen habe, am Karnevalssamstag auf dem Polizeirevier, war mir nicht klar, dass dies unsere letzte Begegnung sein würde. Andernfalls hätte ich sicher versucht, jede einzelne Berührung, jeden Blick, jede dahingeflüsterte Liebeserklärung tiefer aufzunehmen, um sie mir später besser in Erinnerung rufen zu können. Doch es ging an diesem Tag so turbulent zu, und ich war so überwältigt von den sich überstürzenden Ereignissen, dass ich mir für diese kostbaren Empfindungen keine Zeit genommen habe– geschweige denn für einen richtigen Abschied. Alice hat mich irgendwann mit sich fortgeschleift, während Lu noch seine Aussage machte. » Bis später « , habe ich ihm noch zugerufen, und er winkte fröhlich, ganz so, als wollten wir uns kurz darauf in Dona Martas Schänke treffen. Aber dazu kam es nicht mehr. Stattdessen fand ich mich kaum eine halbe Stunde später auf dem Bahnhof wieder, wo Alice mich in den nächsten Zug Richtung Heimat setzte.
    Auch in dieser Nacht träume ich von Lu. Ich habe mich früh zurückgezogen und ins Bett gelegt, wie ich es neuerdings immer tue. Alle erklären sich das mit meiner Erschöpfung, aber der Grund ist einfach nur der, dass ich meine Ruhe haben und mich den Erinnerungen an Lu hingeben will. Ich liege stundenlang wach und glaube manchmal, dass ich es ohne ihn nicht länger aushalte. Es ist ein furchtbares Gefühl, diese Verzweiflung, aus der es keinen Ausweg gibt. Ich weiß, dass mein Platz nicht in den Straßen von Rio ist, genauso wie ich weiß, dass Lus Platz nicht hier sein kann. Also muss ich mich wohl damit begnügen, ihn in meinem Herzen zu tragen.
    Der Donnerstagmorgen überrascht mich mit Sonnenschein. Nach dem ewigen Regen hatte ich fast schon die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder einen sonnigen Tag erleben zu dürfen. Maria weckt mich mit einer Tasse Milchkaffee und dem Öffnen der Fensterläden. Dieses Ritual hat etwas Erholsames, etwas Beruhigendes, sodass ich einigermaßen gut gelaunt aufstehe. Meine leicht aufgehellte Stimmung bekommt allerdings sofort einen Dämpfer, als ich mich an meine Frisierkommode setze und mein Gesicht im Spiegel sehe, bestens ausgeleuchtet von den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereindringen.
    Meine Augen sind vom vielen Weinen verquollen, meine Nase ist rot. Erstmals fällt nun auch mir auf, wie abgemagert ich bin. Meine Wangen sind eingefallen, meine Knochen stehen hervor wie bei einer dürren, alten Ziege. Pfui Teufel! Was hat Lu nur an mir gefunden? Wie konnte er mich jemals einer solchen Schönheit wie Aldemira vorziehen?
    Â» Senhorita Isabel « , ruft Maria erfreut aus, » Ihre schönen grünen Augen leuchten endlich wieder! «
    Â» Papperlapapp. Das ist die Sonne, die lässt sie heller und grüner aussehen. «
    Â» Ich sehe, was ich sehe « , murmelte Maria.
    Â» Und ich höre, was ich höre « , foppe ich sie, denn draußen ist gerade Pferdegetrappel zu hören.
    Â» Erwarten Sie Besuch? « , fragt Maria.
    Â» Nein. « Das weiß sie ebenso gut wie ich. Unser Hauspersonal wimmelt all die » wohlmeinenden « Nachbarn und Freunde ab, die sich plötzlich zuhauf hier einfinden, um ihre Skandalgier zu befriedigen. Ich werde richtiggehend abgeschirmt, so lange, bis sich die Lage ein wenig beruhigt hat. Und ich
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