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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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Recht, unser Urteil infrage zu stellen und an unserem Verstand zu zweifeln. Wir wollen nur dein Bestes. «
    Â» Man sieht ja, wohin das führt « , bemerke ich. » An meinen abenteuerlichen Unternehmungen wart doch allein ihr schuld. Hättet ihr mich nicht an dieses Scheusal verscherbeln wollen, wäre ich nie fortgelaufen. «
    Meine Mutter schlägt die Hände vor den Mund. Noch immer schockiert es sie, dass ich jemals so schlecht von ihr gedacht habe. Für einen Augenblick sehe ich echte Besorgnis in ihren Augen, die von dunklen Schatten und tiefen Fältchen umgeben sind. Sie ist in meiner Abwesenheit um mindestens zehn Jahre gealtert. Allerdings bin ich mir noch immer nicht sicher, ob es die Sorge um mich oder vielmehr die um den guten Ruf der Familie war, die sie so mitgenommen hat.
    Â» Wir dachten, du wärst ganz vernarrt in Dom Fernando. Du hast so verliebt gewirkt an jenem Abend « , erklärt mein Vater zum wahrscheinlich hundertsten Mal.
    Ha! Und ich dachte immer, ich sei eine schlechte Schauspielerin.
    Â» Selbst dann hättet ihr das doch mit mir besprechen müssen « , empöre ich mich. » Ihr könnt meine Hochzeit doch nicht einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden! «
    Â» Selbstverständlich nicht, Liebes « , sagt meine Mutter.
    Â» Wir wollten ja auch mit dir darüber reden, am Morgen nach dem Fest, aber da warst du plötzlich wie vom Erdboden verschluckt « , fügt mein Vater hinzu.
    Ich versuche erneut, mir die Ereignisse jenes Samstags im Januar in Erinnerung zu rufen. War es wirklich so, wie meine Eltern behaupten? Ich kann es nicht glauben. Ich hätte doch niemals einen so verzweifelten Schritt gemacht, wenn auch nur der Hauch einer Hoffnung bestanden hätte, dass alles nur ein Missverständnis ist.
    Â» Wenn man schon an Türen lauscht, dann sollte man entweder alles bis zum Schluss mitanhören oder aber das Gehörte in einen vernünftigen Zusammenhang bringen « , sagt meine Mutter tadelnd. » Du hast die falschen Schlüsse gezogen. «
    Â» Und daraufhin eine falsche Entscheidung getroffen « , ergänzt mein Vater. Diesen Vorwurf machen sie mir nun schon seit Tagen.
    Â» So falsch war sie auch wieder nicht. Ohne meine Flucht und meine Begegnung mit Lu hätte Fernando noch jahrelang so weitermachen können. « Inzwischen sitzt der Schuft in Haft, aber er hat die besten Juristen Brasiliens angeheuert, sodass zu befürchten steht, dass er bald freikommt. Doch sein Ruf ist natürlich ruiniert, und zwar noch gründlicher als meiner. Den Mord an seinen Eltern hat man ihm leider noch nicht nachweisen können, aber allein der Verdacht hat dafür gesorgt, dass niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben will, noch nicht einmal die anderen üblen Kerle, die in seine Geschäfte verwickelt waren. Der Handel mit jugendlichen Sklaven ist zum Erliegen gekommen. Und das werte ich– wie sonst?– als Erfolg. Meine Flucht war ganz und gar nicht umsonst oder gar falsch.
    Â» Nun, dein, äh, Ausflug war sicher lehrreich, das will ich nicht bestreiten. Aber jetzt, da du wieder zu Hause bist, musst du lernen, dich wieder einzufügen und unterzuordnen. Du bist erst fünfzehn Jahre alt, und noch brauchst du unseren Schutz und unsere Anleitung. Und wir können dank unserer Erfahrung nun einmal besser beurteilen, was gut ist für dich und was nicht. «
    Â» Außer bei der Auswahl eines Bräutigams. «
    Â» Unter den geeigneten Kandidaten, die wir für dich aussuchen, suchst du dir natürlich selbst denjenigen aus, zu dem du dich am meisten hingezogen fühlst. Du bestimmst selbst, wen du heiratest. «
    Â» Aber ihr werdet doch sicher niemanden vorschlagen, dessen Haut dunkler ist als meine? «
    Â» Also bitte, Isabel! Das versteht sich ja von selbst. Dass du überhaupt in Betracht ziehst, diesen Burschen… Nein, ehrlich, das ist gegen die natürliche Ordnung der Dinge. «
    Â» Genau « , wirft mein Vater ein. » Man bleibt besser unter seinesgleichen, das hat sich bewährt. «
    Ich denke bei mir, dass Lu doch streng genommen » meinesgleichen « ist: Er gleicht mir. Vom Wesen her sind wir uns ähnlich, obwohl unsere Herkunft und Erziehung nicht andersartiger hätten sein können. Es schert mich nicht, ob er in der Lage ist, ein Rotweinglas von einem Sektkelch zu unterscheiden oder nicht, denn viel wichtiger ist doch, dass er einen guten Menschen
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