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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Autoren: Frank Schätzing
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Berlin
    Vorgestern.
    Was war noch gleich vorgestern?
    Drei Männer in einer Bar. Berlin, Radisson Hotel, morgens um vier, bei der Verkostung geistiger Getränke. Genau genommen ist es ein Jahr her, dass die drei dort saßen. Dennoch scheint es mir, als habe sich das folgende Gespräch erst vor zwei Tagen zugetragen.
    »Sag mal, deine Recherchen für den Schwarm «, meint Hannes, »hast du die eigentlich jemals alle verwerten können?«
    Hannes ist Herausgeber der Wissenschaftszeitschrift PM. Ein Mann mit einem Glas in der Hand und einem Ansinnen.
    »Einen Teil davon«, sage ich. »Zehn bis 20 Prozent.«
    »Also 80 Prozent brachliegendes Wissen. Schade drum. Hättest du nicht Lust, mal was für uns zu schreiben? Eine Fingerübung. Du müsstest nur in deine Unterlagen schauen. Was Schönes über die Meere.«
    Auch ich halte ein Glas in der Hand. Männer, die einander zuprosten, sind grundsätzlich generös gestimmt.
    »Klar«, sage ich. »Was soll’s denn sein? Tiefseetechnik? Wasserkraftwerke? Meeresströmungen? Riesenwellen? Korallenriffe? Evolution, Entstehung des Lebens, Mikroorganismen, kambrische Artenvielfalt? Oder doch lieber Haie?«
    »Ja, genau. Genau das.«
    »Was denn nun?«
    Hannes zögert. »Vielleicht schreibst du ja nicht nur einen Artikel. Ich dachte eher an eine Serie. An drei oder vier Folgen.«
    Ich lasse den Gedanken zirkulieren.
    »Gut«, sage ich. »Warum nicht.«
    »Das sind unterm Strich 50 bis 60 Manuskriptseiten«, meint Helge und nippt versonnen an seinem Wodka Martini. Helge ist der Verleger von Kiepenheuer & Witsch. »Ein ordentlicher Packen Papier. Aber ob das wirklich für ein Buch reicht?«
    Helge tut so, als müsse er darüber nachdenken, die Sache überschlafen. Aber ich kenne meinen Freund. Ich weiß, dass der Samen im Acker seiner Vorstellungskraft bereits die allerschönsten Blüten treibt. »Du meinst, ein Begleitbuch zum Schwarm ?«
    »So was in der Art.«
    »Ein Bändchen, dünn und handlich.«
    »Ja, wegen der Fragen, die so oft gestellt werden: Wie viel im Schwarm ist real? Was ist Wirklichkeit, was ist Fiktion? Ich könnte ein paar Antworten geben. So, dass es zur nächsten Leipziger Buchmesse auf dem Markt ist.«
    »Du weißt, wann Leipzig ist? Wir reden von einem Jahr.«
    »Ist doch nur ein Bändchen. Maximal 150 Seiten. Kein Problem.«
    Wir trinken noch was. Wodka ist ein bemerkenswertes Zeug. Es besteht aus Getreide, Alkohol und großen Mengen Problemlöser. In dieser Nacht ist nichts ein Problem. Hannes findet die Idee gut, Helge findet sie gut, ich finde sie gut. Also schustere ich auf Bierdeckeln und Servietten ein Inhaltsverzeichnis zusammen.
    Es wird lang.
    Es wird länger.
    Eigentlich, denke ich, müsste man ja erklären, wie das Leben in den Meeren überhaupt entstanden ist. Wie es sich weiterentwickelte, wie aus Einzellern Vielzeller und aus Vielzellern die Wesen von heute wurden. Dann könnte man ...
    Nein, falsch. Erst müsste man erzählen, wie das ganze Wasser auf die Erde kam! Also mit der Entstehung unseres Planeten beginnen, dann das Leben porträtieren, sein Werden und Wirken, die wechselseitige Einflussnahme von Evolution und Umwelt, und so weiter, und so fort, bis in unsere Zeit. Das Buch würde einen ersten Teil haben, der in der Vergangenheit spielt, einen weiteren, der sich mit der Gegenwart auseinandersetzt, und einen dritten für die Zukunft. Natürlich wäre es wichtig, ein möglichst lückenloses Panorama des heutigen Lebens im Meer zu entwerfen und die komplizierten Abhängigkeitsgeflechte zu entwirren, die schon in einem einzigen Wassertropfen .
    Genau. Es wird notwendig sein, Wasser an sich unter die Lupe zu nehmen. Und Meeresströmungen. Und Ebbe und Flut, die durch den Einfluss des Mondes .
    Interessant. Wie sähe die Erde eigentlich aus, wenn es keinen Mond gäbe? Sie hätte wahrscheinlich eine andere Atmosphäre, weil ... Stichwort Atmosphäre. Ich muss unbedingt ein Kapitel über Mikroorganismen schreiben, die Sauerstoff freisetzen, den sie mit Hilfe von Sonnenlicht .
    Sonne. Weltraum. Galaxien. Gibt’s auf anderen Planeten eigentlich auch Ozeane? Könnte sich dort Leben entwickelt haben? Außerirdisches Leben, das aussieht wie die Kreaturen aus dem Kambrium und Kambrium! Ein Kapitel übers Kambrium muss rein. Da gab es richtige Monster: Anomalocaris zum Beispiel, die kambrische Entsprechung des Weißen Hais .
    Ach ja, Haie .
    »Das ist kein Bändchen«, bemerkt Helge trocken. »Das ist ein Epos.«
    »Macht nix. Ich schreibe
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