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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Autoren: Frank Schätzing
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Diese Wasserstoffbrücken sind sehr viel schwächer als die Verbindungen zwischen Atomen in einem Molekül. Große Hitze kann sie zerreißen. Aber unter moderaten Bedingungen bilden sie flüchtige Verknüpfungen zu anderen Wassermolekülen, ein kurzes Berühren und wieder Loslassen, viele Milliarden Verknüpfungen pro Sekunde, ein unablässiger molekularer Partnertausch. Ordnung kann man das nicht gerade nennen, aber immerhin entsteht Zusammenhalt: flüssiges Wasser.
    Nennenswerte Gebirge gab es damals noch nicht, die Erde erinnerte mit ihren Kraterfeldern an den Mond, und so geriet der ganze Planet gleichmäßig unter Wasser, bis nur noch die höchsten Vulkangipfel herauslugten. Zudem wuschen die Niederschläge Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das mit der erstarrenden Lava reagierte und die darin gebundenen Mineralien freisetzte. So nämlich kam das Salz ins Meer — und nicht durch den Salzstreuer, von dem mein Vater mir weiszumachen suchte, er sei einem Matrosen ins Wasser gefallen, als der sein Frühstücksei würzen wollte. Geglaubt habe ich das schon damals nicht, bloß dass ich mit sechs Jahren keine bessere Theorie entgegenzusetzen hatte.
    Ein Urozean entstand, bar jeden Lebens.
    Niemand hätte darin baden wollen. Er war kochend heiß, im Schnitt dreieinhalb Kilometer tief und ein hauchdünner Film, verglichen mit dem Radius des Planeten, der sich auf immerhin sechseinhalbtausend Kilometer bemaß. Sein Wasser entstammte den Himmelskörpern des inneren Rings ebenso wie den Kometen aus der fernen Kälte. Alter und Herkunft beider Wasserarten waren verschieden. Einige der Moleküle waren noch vor dem Sonnensystem entstanden, irgendwo im interstellaren Raum. Zu Eiskörnern gefroren trieben sie in den äußeren Regionen des Solarnebels, bevor sie hierher gelangten. Aber was immer sie einmal waren und woher sie stammten, jetzt vermischte sich alles.
    Es goss und goss.
    An den Vulkanflanken nagte die Erosion. Der Regen spülte Basalt ins Wasser, das sich rund um die feurigen Inseln ablagerte und den Meeresboden sedimentierte. Immer neues Material folgte nach, bis die noch dünne Erdkruste unter dem Gewicht von Millionen Tonnen Sediment einbrach und schmolz. Ein Teil der Schmelze trieb zurück nach oben, durchsetzte nachdrängende Sedimentschichten und verband sich mit ihnen zu einem Stoff, der das Antlitz der Welt grundlegend verändern sollte. Granit entstand, leichter als Basalt, dafür von äußerster Härte. Ganze Platten formten sich aus dem neuen Gestein, manche von den Ausmaßen der Schweiz, andere nicht größer als ein Kinderspielplatz. Vorerst noch unter Wasser gelegen, folgten sie schließlich den Gesetzen des Auftriebs und strebten zur Oberfläche, einfach weil sie leichter waren als der Meeresboden. So erhoben sich vor vier Milliarden Jahren die ersten Inseln aus dem Meer, die nicht vulkanischen Ursprungs waren.
    Mit ihrem Erscheinen endet die Ära des Urozeans.
    Ein neuer Kreislauf aus Erosion und Landentstehung begann und setzte sich Millionen Jahre lang fort. Kilometerdicke Sedimentschichten legten sich über basaltenen Meeresboden, die leichteren Granitinseln wuchsen und begannen an ihrer schwereren Umgebung zu zerren. Schließlich riss die Kruste rund um die Inseln auf. Land trennte sich unwiederbringlich vom Meeresboden. Endlos wiederholte sich dieser Prozess, immer wieder brach die noch dünne Meereskruste ein, neue Schmelze verband sich mit Sediment, die granitenen Schollen wuchsen und wuchsen, bis sie einander in die Quere kamen. Weil keine wich, wurden sie von den langsam wandernden ozeanischen Platten ineinander gedrückt und verbanden sich zu einer einzigen, gewaltigen Landmasse in Aquatorhöhe. Kenorland hieß dieser erste Superkontinent, dem im Verlauf kommender Jahrmillionen weitere folgen sollten. Noch war nicht alles Land entstanden, das der Erde heute ihr Gesicht gibt. Zweieinhalb Milliarden Jahre vor unserer Zeit umfasste Kenorland im Wesentlichen das heutige Nordamerika und Australien, außerdem Teile Afrikas und ein bisschen frühes Europa. Leer und leblos, eine düstere, von gleißenden Magmaströmen durchzogene Gesteinswüste, hatte der erste Kontinent der Weltgeschichte dem Schöngeist wenig zu bieten.
    In den Tiefen des Ozeans jedoch regte sich etwas.
    Moleküle reckten und streckten sich, beschnupperten einander und schlossen Freundschaft. Schon mit dem Auftreten der ersten Splitter Kenorlands, vor vier Milliarden Jahren, war der Natur eine neue Mitarbeiterin zuteil geworden.
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