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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Autoren: Frank Schätzing
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Geduldig hatte sie abgewartet, bis der schlimmste Trümmerhagel aus dem All nachließ. Immer noch wurde scharf geschossen im erdhistorischen Wilden Westen, stürzten Asteroiden ins Meer und auf die Inseln, manche winzig, andere von der Größe Mallorcas oder Siziliens. Doch aus den schlimmsten Flegeljahren schien die Erde raus zu sein. Die neue Mitarbeiterin schaute sich um, mit prüfendem Blick und voller Tatendrang. Nachdem sie die Überzeugung gewonnen hatte, dass der Erschaffung von Leben nichts mehr im Wege stand, machte sie sich an die Arbeit. Sie hieß Evolution, und sie hatte ein paar höchst elegante Ideen in petto.
    Wie jede elegante Dame brachte sie ihre Handtasche mit.
     

 
Land in Sicht
    Sie würden gerne reinschauen in die Handtasche? Kein Problem! Zuvor müssen wir uns aber noch ein wenig genauer mit dem Aufbau des Planeten auseinander setzen. Denn was die gute alte Erde zusammenhält, ist zugleich das, was sie spaltet. Wir könnten keine Reise durch die Erdzeitalter unternehmen, das Leben wäre nie entstanden, hätte die Natur auf unserem Planeten nicht eines ihrer wichtigsten Patente zur Anwendung gebracht: die Plattentektonik.
    Falls Sie als Kind Jules Verne gelesen haben, werden Sie ihm vielleicht atemlos zum Mittelpunkt der Erde gefolgt sein. Im wirklichen Leben würde die Reise weit weniger romantisch verlaufen. Ein Gefährt, um uns ins Herz des Planeten zu tragen, müsste enorm hitzeresistent sein und über eine unvorstellbar leistungsfähige Klimaanlage verfügen, außerdem könnte von Sightseeing keine Rede sein. Bei Monsieur Verne stoßen die Forscher auf labyrinthische Höhlensysteme, innerirdische Ozeane und seltsame Riesenpilze, im Film gesellt sich allerlei Urviech hinzu, bis eine Eruption das Team zurück zur Erdoberfläche befördert, geradewegs durch den Schlot eines Vulkans. In einer prähistorischen Opferschale aus einem brennenden Berg zu fliegen und unbeschadet ins Meer zu plumpsen, das muss dem fabuliergewaltigen Franzosen erst mal einer nachmachen. Tatsächlich gelangten wir auf diese Weise kaum nach draußen, ebenso wenig wie wir gemütlich hineinspazieren könnten. Vielmehr müssten wir uns mit einem Superbohrer in die Lithosphäre, die starre Erdkruste, fräsen, und spätestens in 70 bis 100 Kilometern Tiefe würde es unangenehm warm.
    Die marinen und kontinentalen Platten der Erdkruste sind Inseln vergleichbar, die auf einem Ozean ganz eigener Beschaffenheit treiben: Bis zu 200 Kilometer dick ist die Asthenosphäre, eine zähe, relativ weiche und leichte Schicht aus glühendem Gestein, die lähmend langsam dahinkriecht. Wie auf Sirup schwimmen die Teile der Erdkruste darauf, der Fließgeschwindigkeit entsprechend. Vorausgesetzt, unser Gefährt wäre resistent gegen diesen 1.200 bis 1.500 Grad Celsius heißen Backofen, könnten wir die Asthenosphäre durchqueren, allerdings würde uns als Nächstes der Erdmantel erwarten und damit noch schlimmere Hitze. 2.860 Kilometer dick, fester als die Asthenosphäre, schiebt auch er sich mit wenigen Zentimetern jährlich voran. Nicht allein die Temperaturen setzen unserem Bohrgefährt zu, sondern ebenso ungeheurer Druck. Wacker, wie wir sind, lassen wir uns davon nicht beeindrucken und bringen auch diese Etappe hinter uns, umgeben von eintönigem Lavarot, bis wir eine hellere Zone erreichen, den äußeren Kern. Bislang ging unsere Reise durch Gestein, nun kommen wir ins Reich flüssigen Metalls, vornehmlich Eisen mit ein wenig Nickel. Spätestens jetzt sollten Sie die Erfrischungstüchlein auspacken. Gnadenlose
    4.0 Grad Celsius erwarten uns während der nächsten 2.250 Kilometer. Guter Dinge drücken wir auf die Tube — und knallen gegen etwas Festes.
    Wer wohnt hier?
    Niemand. Der innere Kern hat uns ausgebremst: metallisch wie der äußere, allerdings fest. Hier herrschen Druckverhältnisse, die keine Fließbewegung mehr zulassen. Um zu Vernes Mittelpunkt vorzustoßen, müssten wir erneut den Bohrer rotieren lassen und weitere 610 Kilometer hinter uns bringen, aber das sparen wir uns. Weiß glühend ist der Kern, der Druck in seinem Zentrum beträgt 3.600 Kilobar, was geologisch von höchstem Interesse sein mag, für Touristen jedoch langweiliger ist als Wolfsburg bei Nacht. Also drehen wir um und reisen heim. Zurückgekehrt, wissen wir nun immerhin so viel: Die Erde ist teils flüssig, ihr Inneres in ständiger Bewegung, entsetzlich heiß und mörderischen Druckverhältnissen unterworfen, eine in Zeitlupe vor sich hin kochende
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