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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler
Autoren: Craig Russell
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sein Leben explodieren ließ.
    »Du Arschloch«, sagte Fabel mit langsamer, ruhiger Stimme. Er blickte zu Werner und Sülberg hinüber, die kein Wort von sich gaben. Das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen, straffte er seine die Pistole umklammernden Finger. Innerhalb einer einzigen Sekunde raste ihm ein Dutzend Bilder durch den Kopf. Michaela Palmers verängstigte, gejagte Miene. Vier unschuldige Frauen, die auf die gleiche Art für den Tod hergerichtet und aufgeschlitzt worden waren. Paul Lindemanns tote Augen. Aber dies war der Lehrling, nicht der Meister - ein Wahnsinniger, der von einem größeren, noch verdrehteren Geist manipuliert wurde. Es war Witrenko gewesen, der das ukrainische Mädchen und den alten Mann ermordet hatte. Seinen eigenen Vater. Keine Arbeit, die man einem Lehrling überließ. Ein Meisterwerk. Fabel zog seine Pistole von MacSwains Kopf zurück.
    »Passen Sie auf ihn auf«, fauchte er. Sülberg nickte grimmig und ging zu MacSwain hinüber. »Werner, kümmere dich um Anna.«
    »Was ist mit Witrenko?«
    »Das ist meine Sache«, erwiderte Fabel, sprintete zur Tür und stürzte in die Nacht hinaus. Er blieb stehen und musterte die weiten, flachen Felder. Dann hob er das Funkgerät an den Mund. »Maria?«
    Schweigen.
    »Maria? Antworte mir.« Immer noch nichts.
    Sülberg musste ihn in der Scheune gehört haben. Seine Stimme ertönte über Funk, und er fragte jeden der vier Cuxhavener Beamten, ob sie Witrenko oder Oberkommissarin Klee gesehen hätten. Drei verneinten, und der vierte blieb wie Maria still. Fabel verengte die Augen und hielt Ausschau nach einer Bewegung vor den grün-schwarzen Rändern aus Bäumen und Sträuchern am jenseitigen Ende der Felder. Er sah etwas, aber es war undeutlich und nicht einmal als Mensch identifizierbar. Er rannte darauf zu. 
    »Witrenko läuft zum Wasser! Weg von dem Boot!«, schrie Fabel zwischen zwei Atemzügen ins Funkgerät. »Ich werde ihn zwischen den Bäumen aus den Augen verlieren!« Seine Lungen schienen zu verbrennen, und das Herz hämmerte ihm in der Brust. Als Erstes fand er den Cuxhavener Schutzpolizisten. Der Polizist lag, seine Dienstpistole noch in der Hand, auf der Seite und wurde von dem langen Gras gestreichelt. Sein sterbender Körper hatte eine Vertiefung im Gras entstehen lassen. Die Haltung des toten Polizisten erinnerte Fabel an die mumifizierten Leichen uralter Menschenopfer, die Archäologen hin und wieder im Torfboden dieser Gegend freilegten. Dicht unter seinem Ohr - über die Kehle hinweg von einem Kiefer zum anderen - funkelte ein langer, breiter Schnitt im trüben Mondlicht, und auf den Grashalmen glänzte schwarzes Blut. Schweigen und Tod hatten den jungen Schutzpolizisten gleichzeitig ereilt. Ihm war das Recht verwehrt worden, am Ende seines Lebens wenigstens einen Schrei auszustoßen.
    »Maria!«, brüllte Fabel in die Dunkelheit hinein. Stille. Dann so etwas wie ein Seufzen. Fabel drehte sich sechzig Grad nach rechts.
    Maria lag ungefähr zehn Meter von ihm entfernt halb verborgen im Gras. Er rannte auf sie zu und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Sie lag auf dem Rücken, das Gesicht dem dunklen Himmel zugewandt, in einer fast entspannt wirkenden Haltung, als hätte sie die Einsamkeit gesucht, um zum Mond und zu den Sternen hinaufzuschauen. Sie bewegte die Augen, sodass sie Fabel ansehen konnte, ohne den Kopf drehen zu müssen. Ihre Lippen waren gestrafft, und sie atmete in kurzen, schwachen Zügen durch den Mund. Der Knauf des breiten Zeremonienmessers ragte knapp unter dem Brustbein aus ihrem Leib. Witrenko hatte ihr die gesamte Klinge in den Körper getrieben und das Herz absichtlich verpasst, um sie nicht sofort zu töten, sondern lediglich lebensgefährliche Verletzungen hervorzurufen.
    Fabel beugte sich über sie, legte die Hände behutsam an ihre Wangen und näherte sein Gesicht dem ihren auf Kussnähe.
    »Ich möchte nicht sterben, Jan«, sagte sie mit einer Kleinmädchenstimme. »Bitte, lass mich nicht sterben.«
    »Du wirst auch nicht sterben, Maria.« Fabels Stimme war sanft und entschieden zugleich. »Sieh mich an. Hör mir zu. Denk nach. Witrenko hätte dich töten können, aber er hat es nicht getan, weil er wollte, dass ich mich um dich kümmere, statt ihn zu verfolgen. Du bist keines seiner Opfer, Maria, du dienst der Ablenkung. Der Verzögerung.« Er spürte ihren schwachen Atem an seinem Gesicht. »Du wirst nicht sterben.« Doch er war sich keineswegs sicher, dass er die Wahrheit sagte. Maria
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