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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler
Autoren: Craig Russell
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und niemand würde sie vermissen. Sie war auf sich allein gestellt und musste selbst einen Fluchtplan ausarbeiten. Für ein paar Sekunden waren ihr all diese Tatsachen völlig klar, doch im nächsten Moment wusste sie nicht mehr, wo sie sich befand und was vor sich ging. Dann wurde sie von einer Art Schlaf umhüllt.
    MacSwains Stimme weckte sie. Er sprach mit jemandem - rasch und atemlos und ohne Pause. Weit von der Oberfläche ihres eigenen Bewusstseins entfernt, konnte sie zunächst nicht verstehen, was er sagte, aber sie arbeitete sich hinauf, der Stimme entgegen.
    Anna durchbrach die Oberfläche. Der Schmerz in ihrem Kopf wurde von den Innenseiten ihres Schädels zurückgeworfen. MacSwain sprach weiter. Sie öffnete die Augen. Er saß ihr gegenüber. Seine toten, leeren Augen fixierten sie, sein Mund war der einzige lebendige Teil seines Gesichts. Es war, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht, der nicht abgedreht werden konnte, bis sich der Inhalt von MacSwains hässlichem Geist daraus ergossen hatte. 
    »Er hat mir alles erklärt«, fuhr er mit drängender, aufgeregter Stimme fort. »Wir schaffen unsere eigenen Mythen aus unseren Legenden, und wir leiten unsere Legenden aus unserer Geschichte ab. Odin ist ein Gott. Er ist der Gott aller Wikinger, weil alle Wikinger an ihn glauben. Bevor der Mythos ihn zum Gott gemacht hat, war er der Legende nach ein König. Und bevor die Legende ihn zum König werden ließ, war er, wie die Geschichtsschreibung uns verrät, wahrscheinlich ein Häuptling in Jütland. Aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist das, wozu er geworden ist. Wenn man den Namen Odin ausspricht, zittert die Welt. Das ist die Wahrheit ... das ist die Wahrheit. Genau das weiß ich von Oberst Witrenko. Er hat mir gezeigt, dass wir alle Variationen eines Themas sind, verbunden mit unserer Geschichte und unseren Mythen.«
    Er unterbrach sich jäh. Anna hatte begonnen, sich langsam in eine sitzende Position aufzurappeln. MacSwain stand auf, machte zwei Schritte auf sie zu und knallte ihr die Faust an die Schläfe. Der Schmerz schien in Annas Kopf zu explodieren, und die Welt wurde ein wenig finsterer, doch sie fiel nicht in Ohnmacht. Sie war lediglich wieder auf die Seite gesunken und schaute zu MacSwain hinüber, der weiterredete, als hätte er nur eine kurze Pause gemacht, um eine Fliege totzuschlagen.
    »Oberst Witrenko hat mir verdeutlicht, dass es Menschen gibt, mit denen wir verbunden sind. Wie der Oberst und ich. Unsere Verwandtschaft ist an unseren Augen zu erkennen - wir müssen denselben Wikinger-Vorfahren gehabt haben. Das Gleiche gilt für Hauptkommissar Fabel und mich. Oberst Witrenko hat nachgewiesen, dass Herr Fabel und ich entfernte Blutsverwandte sind. Wir sind beide halbe Deutsche und halbe Schotten. Wir haben uns beide für unseren Platz entschieden. Deshalb ist Herr Fabel als Gegner für mich ausgewählt worden.«
    Anna spürte, wie ein Teil ihrer Kraft zurückkehrte. Ihre Gedanken bewegten sich leichter und rascher durch den dünner werdenden Morast in ihrem Geist. Sie musterte MacSwain. Er war groß und kräftig gebaut, aber seinem Schlag hatte es an Wucht gefehlt. Vom Deck her war nichts als das Plätschern des Wassers zu hören. MacSwain musste den Motor abgeschaltet haben und heruntergekommen sein, um unter vier Augen mit ihr zu reden. Dies mochte ihr Ende sein, doch sie war nicht so betäubt, wie er dachte. Sie würde bis zum letzten Atemzug Widerstand leisten. Es würde ihm nicht leicht fallen, sie zu töten.
    »Aber wir sind nicht nur mit denen verbunden, die unsere Zeit teilen«, fuhr MacSwain mit seinem Monolog fort, »es gibt Menschen, die vor uns gekommen sind, und jene, die uns folgen werden. Wir sind die Geschichte derjenigen, die uns folgen, und sie werden uns zu Legenden machen. Ich werde eine Legende sein, genauso Oberst Witrenko. Und dann, wenn es an der Zeit ist, werden wir unsere Plätze neben Odin einnehmen.« Seine Augen begannen plötzlich eisig zu funkeln. Er sprang auf und trat auf Anna zu. »Aber zuerst müssen Opfer gebracht werden.« Er beugte sich über sie.
    Annas erster Tritt traf ihn an der Schläfe, doch ihre schiefe Lage und die Wirkung der Drogen reduzierten die Wirkung. MacSwain - schockiert, doch nicht verletzt - taumelte zurück. Das gab Anna die Chance, ihre Beine vom Bett zu schieben und aufzuspringen. Aber sobald sie sich aufgerichtet hatte, wurde ihr schwindelig. Sie sah, wie sich MacSwains Körper straffte. Doch die Kabine war klein und schmal,
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