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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler
Autoren: Craig Russell
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was den hoch gewachsenen Mann stärker behinderte als Anna. Er stürmte auf sie zu, und sie rammte ihm die Ferse ans Brustbein. MacSwains Lungen leerten sich, er sank auf die Knie und schnappte nach Luft, als wäre er in einem Vakuum gefangen.
    Anna, durch die gefesselten Hände in ihren Bewegungen behindert, holte erneut mit dem Fuß aus und zielte sorgfältig, bevor sie MacSwain einen mächtigen Tritt an die Schläfe versetzte. Er wurde zur Seite geworfen und knallte gegen die kleine Kombüse. Dann stöhnte er auf und blieb still liegen. Anna lief zur Luke und stemmte die Schulter dagegen. Vergeblich. Ihr fiel ein, dass es eine Schiebeluke war, und sie ließ ihre Arme und Handgelenke unter ihr Gesäß gleiten. Zuerst hockend, dann sitzend, schob sie die Hände hinter ihre Knie und schließlich über ihre Füße. Sie warf einen Blick auf MacSwain. Er stöhnte erneut. Anna mühte sich mit ihren immer noch gefesselten Händen ab, die Luke seitwärts zu drücken. Sie würde es schaffen. Hinauf und über Bord. Im Wasser hatte sie bessere Chancen als halb betäubt auf einem Boot mit einem Wahnsinnigen.    
    Die Luke klemmte. Anna brachte ihre letzten Kraft- und Willensreserven auf, um daran zu reißen. Die Luke glitt zur Seite und knallte gegen das Gehäuse. Der kühle Ölgeruch des Flusses drang in die Kabine ein. Anna stieg nach oben, der Nacht entgegen. Hinter ihr ertönte ein tierischer Schrei, und MacSwains volles Gewicht krachte in ihren Rücken. Ihr Gesicht prallte auf die oberste Treppenstufe. Der Eisengeschmack von Blut breitete sich in ihrer Nase und ihrem Mund aus. MacSwain packte eine Faust voll Haar, riss Annas Kopf zurück und zog sie wieder in die Kabine. Seine andere Faust landete an ihrem Hals, doch es war kein Schlag. Sie spürte das kalte Metall und den schmerzhaften Stich einer Injektionsnadel. Dann wurde sie von einer ganz anderen Nacht gepackt als der, die sie so verzweifelt hatte erreichen wollen.
     

 
    Auf der Elbe, zwischen Hamburg und Cuxhaven,
    Samstag, den 21. Juni, 22.15 Uhr
      Franz Kassel sah das Motorboot anhalten. Es befand sich außerhalb der Hauptschifffahrtswege und war vorschriftsmäßig beleuchtet - im Gegensatz zu der WS-25, die sich von hinten angeschlichen hatte. Er beobachtete den hoch gewachsenen jungen Mann, der an Deck erschien. In der Dunkelheit und aus der Entfernung war sich Kassel nicht sicher, doch als der Mann sich das Gesicht mit einem Handtuch abwischte, schien sich das Tuch schwarz zu färben. Wie durch Blut. Er setzte den Feldstecher ab und wandte sich an Gebhard. »Versuch noch mal, Oberkommissarin Klee zu erreichen. Und wenn das nicht klappt, werde ich mir den Knaben da drüben spaßeshalber mal vornehmen.«
    Kassell schaute erneut zu dem Motorboot hinüber. Weißer Schaum hob sich von der schwarzen Seide des Flusses ab.
    »Er setzt sich in Bewegung.«
     

 
    Hamburg-Harvestehude,
    Samstag, den 21. Juni, 22.20 Uhr
      Die weiß gekachelten Wände von MacSwains Badezimmer glänzten geradezu antiseptisch, und von den Armaturen ging ein kaltes Funkeln wie von einem Skalpell aus. Fabel, Maria und Werner sahen eine männliche Gestalt vor sich. Ein dunkelblauer und roter Taucheranzug hing an der Duschstange. Von ihm tropfte Wasser auf die helle Emaille. Er machte den entnervenden Eindruck einer abgeworfenen Haut. Eine Taucherhaube lag über dem Rand der Badewanne.
    Werner zeigte mit einer knappen Bewegung seines Kinns auf den Taucheranzug. »Meint ihr, dass er das getragen hat?« 
    Fabel spähte ins Badezimmer. Zwei weitere Tropfen fielen in die Wanne. Sie prallten mit einer leichten rosa Tönung auf die weiße Emaille. Er holte einen Kugelschreiber aus der Tasche und zog den Hebel hoch, um den Abflussstöpsel zu schließen.
    »Wenn er das getragen hat, dann war es eine schlechte Wahl, um das Blut zu beseitigen. Ein Taucheranzug ist zwar undurchdringlich, aber die Manschetten am Kragen, an den Knöcheln und Handgelenken sind aus Neopren. Egal, wie oft der Anzug durchgespült wird, im Neopren bleibt immer ein bisschen Blut hängen. Niemand rührt hier etwas an, bevor Brauner eintrifft.«
    Fabel beschloss, erneut in die Klaustrophobie von MacSwains winziger, fensterloser Abstellkammer einzudringen. Zahlreiche Schichten Material waren an die Wände geheftet oder geklebt. Statt alles methodisch durchzugehen - eine Aufgabe, die er Werner übertragen würde -, ließ Fabel den Blick über die Landschaft von MacSwains Wahnsinn schweifen. Es war eine krankhafte
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