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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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Wir alle luden ihn zu unseren Hochzeiten ein. Er war berühmt. Die Einladungen schickten wir an das Hochhaus seiner Plattenfirma in New York, damit man dort die festlichen, mit Goldrand versehenen Umschläge an ihn weiterleiten konnte, während er irgendwo auf Tour war – in Beirut, Helsinki, Tokio. Orte, die über unseren Horizont oder unsere begrenzten finanziellen Mittel weit hinausgingen. Er schickte Geschenke in verbeulten Pappkartons, die mit ausländischen Briefmarken übersät waren; feine Schals oder Parfüm als Geburtstagspräsente für unsere Frauen, kleine zierliche Spielsachen oder Schmuckanhänger zur Geburt unserer Kinder: Rasseln aus Johannesburg, hölzerne Matrjoschkas aus Moskau, winzige Seidenpantoffeln aus Taipeh. Manchmal rief er uns an. Dann rauschte es in der Leitung oder es gab ein Echo, und im Hintergrund konnte man das Kichern junger Frauen hören. Seine Stimme klang nie so glücklich, wie wir erwartet hatten.
    Monate vergingen, bevor wir ihn wieder zu Gesicht bekamen. Dann kam er heim, bärtig, abgehärmt und mit müden Augen, aber irgendwie auch glücklich und erleichtert. Wir konnten erkennen, dass er froh war, uns zu sehen und wieder zurück in unserer Mitte zu sein. Wir gaben ihm immer Zeit, sich ein wenig zu erholen, bevor wir unser gemeinsames Leben wieder aufnahmen. Wir wussten, dasser erst einmal runterkommen und seine Balance wiederfinden musste. Wir ließen ihn schlafen und schlafen. Unsere Frauen brachten ihm Auflauf oder Lasagne, Schüsseln mit Salat oder frisch gebackene Pasteten.
    Er liebte es, mit dem Traktor auf seinem weitläufigen Anwesen herumzufahren. Er genoss es wohl, das heiße Tageslicht, die Sonne und die frische Luft auf seinem bleichen Gesicht zu spüren. Das schleppend langsame Tempo des alten John-Deere-Traktors, der so zuverlässig und geduldig war. Die Erde, wie sie sich unter ihm abspulte. Es wurde natürlich nichts angebaut auf seinem Land. Aber er fuhr mit dem Traktor durch die brachliegenden Felder voller Präriegras und wilder Blumen, mit einer Zigarette oder einem Joint zwischen den Lippen. Er lächelte immer, wenn er auf diesem Traktor saß, mit seinen fliegenden hellblonden Haaren, die im Sonnenlicht so aussahen wie der Flaum einer Pusteblume.
    Für seine Bühnenauftritte hatte er sich einen Künstlernamen zugelegt, aber den benutzten wir nie. Wir nannten ihn Leland, oder einfach nur Lee, denn so hieß er eigentlich. Er wohnte in einem alten Schulhaus, abseits von allem, abseits unseres kleinen Ortes Little Wing, ungefähr fünf Meilen weit draußen auf dem Land. Auf seinem Briefkasten stand L. SUTTON . In der kleinen uralten Turnhalle hatte er sich ein Aufnahmestudio eingerichtet. Er hatte die Wände mit Schaumstoff verkleidet und den Boden mit dicken Teppichen ausgelegt. An den Wänden hingen Platinschallplatten und Fotos, die ihn mit berühmten Schauspielerinnen und Schauspielern, Politikern, Chefköchen und Schriftstellern zeigten. Die Kiesauffahrt zu seinem Haus war lang und voller Schlaglöcher, aber auch das schreckte einige der jungen Frauen nicht ab, die ihn dort ausfindigmachten. Sie kamen von überall auf der Welt. Und sie waren immer wunderschön.
    Lees Erfolg hatte uns nicht überrascht. Er war seiner Musik immer treu geblieben. Während wir anderen auf der Universität oder in der Army waren oder auf unseren Familienfarmen hängenblieben, hatte er sich in einem verfallenen Hühnerstall verschanzt und in der allumfassenden Stille des tiefsten Winters auf seiner ramponierten Gitarre gespielt. Er sang mit einer gespenstischen Falsettstimme, die einen manchmal, am Lagerfeuer, im unsicheren Schatten der rötlich gelben Flammen und des weiß-schwarzen Rauchs zum Weinen brachte. Er war der Beste von uns allen.
    Er schrieb Lieder über unseren Flecken Erde: die allgegenwärtigen Maisfelder, die bewirtschafteten Wälder, die buckeligen Hügel und die eingekerbten Täler. Die schneidende Kälte, die viel zu kurzen Tage, den Schnee, den Schnee, den Schnee. Seine Lieder waren unsere Hymnen – sie waren unsere Sprachrohre, unsere Mikrofone, unsere Jukebox-Gedichte. Wir vergötterten ihn; unsere Frauen vergötterten ihn. Wir kannten jedes Wort von jedem seiner Lieder und manchmal kamen wir sogar selbst darin vor.
    ...
    Kip würde im Oktober heiraten, in einer Scheune, die er extra zu diesem Zweck renoviert hatte. Die Scheune gehörte zu einer Pferdefarm; die Konturen des Landes waren von Stacheldrahtzäunen bestimmt. Direkt neben der Scheune lag ein
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