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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs
Autoren: Nickolas Butler
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eindringlichsten blieben uns ihre Stöckelschuhe in Erinnerung, die sie auch den ganzen Winter hindurch trug, immer mit leuchtend rot lackierten Fußnägeln. Sie war sehr nett, keine Frage, aber sie hatte irgendetwas an sich, das uns sagen zu wollen schien, dass unsere Stadt für sie nur ein vorübergehender Aufenthaltsort war, eine Art Zwischenlandung, und dass auch wir lediglich Zwischenlandungen waren. Zwischenlandungen, über die man später nur noch hinwegfliegen und denen man dabei kurz zuwinken würde. Überflugsfreunde.
    Wir warfen einen Blick auf die Einladungskarten und stellten überrascht fest, dass Lee während der Zeremonie einen Song spielen würde. Er hatte auf keiner der Hochzeiten von uns anderen gespielt, und obwohl wir uns das alle gewünscht hätten, hätte niemand von uns gewagt, ihn um einen solchen Gefallen zu bitten. Es war uns gar nicht in den Sinn gekommen, er könne in seiner Eigenschaft als Künstler anwesend sein. Wir wollten ihn einfach nur als Freund dabeihaben.
    Nicht lange nachdem die Einladungen bei uns eingetroffen waren, kam Lee aus Australien zurück, abgekämpfter und ausgelaugter als jemals zuvor. Wir ließen ihn ein paar Tage in Ruhe, wie wir es immer taten, und dann lud ihn Beth, meine Frau, zu uns auf die Farm zum Essen und zu einem Lagerfeuer ein. Er schien es immer zu genießen, mit unseren Kindern zu spielen, genauso wie den Umstand, dass wir kein Kabelfernsehen hatten. Genauer gesagt war der einzige Fernseher, den wir besaßen, ein uralter Kasten, den wir von meinen Eltern geerbt hatten und der eher einem riesigen Möbelstück glich als einem Gerät, das tatsächlich eine Verbindung zur Außenwelt schuf. Wir hatten jedoch einen relativ neuen Plattenspieler – ich sammele alte Vinyl-Schallplatten – und Lee wurde immer ein bisschen rot, wenn er daran vorbeiging und eine seiner eigenen LPs unter der Nadel liegen sah. Auch unsere Kinder konnten die Texte aller seiner Songs auswendig.
    Als sie an diesem Abend die Scheinwerfer von Lees altem Pick-up die Auffahrt zum Haus hinaufkommen sahen, kreischten sie begeistert. Sie rannten im Kreis, galoppierten durch die Gegend und sangen voller Begeisterung all seine berühmtesten Refrains.
    »Okay okay okay!«, rief Beth lachend. »Es reicht. Jetzt rückt Onkel Lee mal nicht zu dicht auf die Pelle. Er ist müde, okay? Er ist gerade erst aus Australien zurückgekommen. Also nervt ihn nicht zu sehr.« Während sie die Kinder von der Eingangstür wegscheuchte, prüfte sie im Spiegel ihr Aussehen, spitzte die Lippen und strich sich mit den Fingern kurz durchs Haar.
    Er kam mit einem Strauß Nelken in der Hand an die Tür, den er ganz offensichtlich hastig im Supermarkt gekauft hatte. Beth nahm ihm die Blumen ab und sie umarmtensich. Mit den Jahren war er selbst immer dünner und sein Haar immer spärlicher geworden, auch wenn er es lang wachsen ließ. Er trug einen Bart und seine Unterarme waren mit Tattoos übersät.
    »Hey, Kumpel«, sagte er und grinste mich an. »Ich bin verdammt froh, wieder zu Hause zu sein. Hab euch schrecklich vermisst.«
    Lee war immer schon gut im Umarmen gewesen. Ich spürte seinen Brustkorb an meinem, seine langen Arme um mich. Den Geruch von Tabak in seinem Bart und in seinen Haaren.
    »Wir haben dich auch vermisst«, sagte ich. Dann stürzten sich die Kinder auf ihn und er tat so, als sei er zu schwach, sich zu wehren, und ließ sich von ihnen zu Boden ringen. Beth und ich gingen in die Küche und trugen die Schüsseln mit dem Essen zu unserem alten Esstisch, auf dem die Kerzen schon brannten. Dann ging Beth zum Plattenspieler, drehte seine Platte um und setzte die Nadel auf die breite schwarze Rille am Rand.
    Wir hörten, wie Lee von der Tür her aufstöhnte, während er auf uns zustolperte, Eleanore und Alex mit sich ziehend, die er mit den Armen unter den Achseln gefasst hatte. Er schüttelte den Kopf. »Lasst uns was anderes hören, okay?«, sagte er. »Ich hänge mir selbst echt zum Hals raus.«
    Wir schauten ihm zu, wie er das Essen herunterschlang; es machte uns glücklich, ihn aufpäppeln zu können. Wir tranken Wein und hörten Jazz, und draußen vor den Fenstern raschelten die trockenen Herbstblätter laut an ihren Ästen. Es lag Schnee in der Luft.
    »Ich habe gehört, dass du auf Kips Hochzeit einen Song spielst«, sagte ich nach einer Weile.
    Lee lehnte sich in seinem Stuhl zurück und stieß die Luft aus. »Ja«, sagte er, »sieht ganz danach aus. Ich hab irgendwann aus heiterem Himmel ’ne
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