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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry
Autoren: Benvolio
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an, Sie haben schon als Pensionsgast logiert; sicher können Sie uns da den einen oder anderen Rat geben.»
    In dem wettergegerbten Gesicht des alten Mannes war etwas so Liebenswürdiges und Aufrichtiges, in seinem Auftreten etwas so Freundliches, dass ich, unter dem Vorbehalt der Einwilligung seiner Tochter, sogleich eine Vereinbarung mit ihm traf. Morgen soll ich ihre Antwort erfahren.
Ebendiese Tochter scheint mir ein recht dunkler Fleck im Gesamtbild. Lehrerin an einer höheren Mädchenschule – wahrscheinlich an der Anstalt, von der Mrs M. gesprochen hatte. Vermutlich ist sie über dreißig. Ich denke, ich kenne die Spezies.

    12. Juni, Vormittag. – Es gibt außer dem Herumkritzeln tatsächlich nichts, was ich tun könnte.« Barkis will.» 7 Kapitän Blunt teilte mir heute Morgen mit, seine Tochter lächle gnädig. Ich soll mich heute Abend einfinden, mein karges Gepäck werde ich jedoch schon in ein, zwei Stunden hinschicken.

    Abend . – Hier bin ich, und ich bin gut untergebracht. Das Haus liegt keine Meile vom Gasthof entfernt und ist über eine sehr hübsche Straße zu erreichen, die am Hafen entlangführt. Gegen sechs fand ich mich ein, Kapitän Blunt hatte mir den Weg beschrieben. Eine sehr höfliche alte Negerin öffnete mir und führte mich dann in den Garten, wo ich meine Freunde beim Blumengießen antraf. Der alte Mann trug seinen Hausmantel und Pantoffeln. Er hieß mich herzlich willkommen. Seine Umgangsformen haben etwas erfreulich Ungezwungenes – die von
Miss Blunt übrigens auch. Sie empfing mich äußerst freundlich. Die verstorbene Mrs Blunt muss eine wohlerzogene Frau gewesen sein. Und was Miss Blunts Alter betrifft, so ist sie keine dreißig, sondern um die vierundzwanzig. Sie trug ein adrettes weißes Kleid, dazu ein violettes Band am Hals und eine Rosenknospe im Knopfloch – oder wie auch immer man den entsprechenden Platz am weiblichen Busen nennen mag. Ich meinte zu erkennen, dass diese Kleidung eine gewisse Höflichkeit, eine gewisse Ehrerbietung zur Feier meiner Ankunft zum Ausdruck bringen sollte. Ich glaube nicht, dass Miss Blunt jeden Tag weißen Musselin trägt. Sie gab mir die Hand und hielt mir einen sehr freimütigen kleinen Vortrag über ihre Gastfreundschaft.« Wir hatten bisher noch nie irgendwelche Hausgenossen», sagte sie,«und deshalb ist dies alles neu für uns. Ich weiß nicht, was Sie erwarten. Ich hoffe, nicht allzu viel. Lassen Sie es uns wissen, wenn Sie etwas brauchen. Wenn wir Ihren Wunsch erfüllen können, werden wir dies sehr gern tun; können wir es nicht, kündige ich jetzt schon an, dass wir rundweg ablehnen werden.»Bravo, Miss Blunt! Das Beste an allem ist, dass sie fraglos schön ist, und zwar auf stattliche Weise: großgewachsen und recht
drall. Wie lautet die übliche Beschreibung eines hübschen Mädchens? Weiß und rot? Miss Blunt ist kein hübsches Mädchen, sie ist eine schöne Frau. Sie hinterlässt einen Eindruck von schwarz und rot; das heißt, sie ist eine blühend aussehende Brünette. Sie hat volles, welliges schwarzes Haar, das ihren Kopf wie eine dunkle Strahlenkrone, wie ein schattenhafter Heiligenschein umrahmt. Auch ihre Augenbrauen sind schwarz, die Augen selbst aber von einem kräftigen Blaugrau wie jene Schieferfelsen, die ich gestern unter den vor- und zurückrollenden Wellen schimmern sah. Ihre eigentliche Stärke ist jedoch ihr Mund. Er ist sehr groß und birgt die schönsten Zahnreihen auf dieser ganzen beschwerlichen Welt. Ihr Lächeln ist ausnehmend intelligent, ihr Kinn voll und ein wenig breit. All dies ergibt eine leidliche Aufzählung, aber noch kein Bild. Ich habe mir das Hirn zermartert, um herauszufinden, ob ihr Typ oder ihre Gestalt mich mehr beeindruckte. Fruchtloses Grübeln! Im Ernst, ich glaube, es war keines von beiden; es war die Art, wie sie sich bewegte. Sie geht wie eine Königin. Es war die bewusste Haltung ihres Kopfes und das unbewusste«Hängenlassen»ihrer Arme, die unbefangene Anmut und Würde, mit der sie langsam den Gartenpfad entlangschlenderte
und an einer ach so roten Rose roch! Sie hat offenbar sehr selten das Bedürfnis, etwas zu sagen; spricht sie jedoch, so ist es stets zur Sache, und legt es die Sache nahe, lächelt sie dabei ganz reizend. Wenn sie nicht sehr gesprächig ist, so gewiss nicht aus Schüchternheit. Vielleicht aus Gleichgültigkeit? Die Zeit wird es weisen, wie so manch anderes auch. Ich gehe davon aus, dass sie liebenswürdig ist. Überdies ist sie intelligent; sie ist
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