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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry
Autoren: Benvolio
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konsumieren, aber auch verblüffend modern.
    Ein Landschaftsmaler – 1866 im Atlantic Monthly erschienen – ist so eine Geschichte. Typisch weniger der geradezu schwelgerischen und malerischen Bilder wegen, sondern weil sich hier schon die James’schen Motive geradezu gefährlich zusammenballen. Das Spiel mit der Perspektive, das Spiel mit der Moral, mit dem Verpassen, dem Missverstehen von Gefühlen, die Schwachheit der Männer, die Stärke der Frauen, die Unmöglichkeit der (auch körperlichen) Nähe.

    Ein – bei James durchaus nicht seltener – eher unsympathischer, finanziell dafür aber bestens ausgestatteter Held verstößt James’ geradezu archetypische amerikanische Heldin (groß, schön, kastanienbraunes Haar, graue Augen) wegen vermuteter Geldgier, wirft sich das härene Kleid eines armen Künstlers über, führt – weil er nicht wegen seines Geldes geliebt werden will – das einfache Leben eines Malers am Meeresstrand und verfällt vor unseren Augen (wir lesen schließlich sein Tagebuch) zunehmend der scheinbar naiven, sehr fleischlichen Ausstrahlung einer blühenden Brünetten (die – stellt sich später heraus – eben auch sein Tagebuch gelesen hat). Und tappt in die eigene Falle, ihre Geld- und Geltungsgier wird ihm nämlich erst offenbar, als er sich glücklich (wie er findet) in die Hölle einer Ehe hat manövrieren lassen und von seiner Frau aufgefordert wird, doch ein Mann zu sein. Das ist allegorisch. Das ist ziemlich moralisch. Und so böse wie lustig. Henry James müssen wir uns schon von da an als sehr sardonischen Erzähler vorstellen.
    Unangenehm präzise ist das. Aber mit Realismus hat selbstverständlich nichts zu tun, was der eifrig berichtende Korrespondent aus Europa, als der Henry James für die bunte Landschaft amerikanischer
Zeitschriften auch arbeitet, während er durch die Salons Europas irrt, in seinen Geschichten erzählt. Ihnen hält er die Welt vom Leib. Von Sozialreportagen sind sie denkbar weit entfernt, man erfährt beinahe nichts über die Zeit, aber alles, meistens mehr als einem lieb ist, über die Figuren, die Henry James durch den schmalen Spalt in der Tür zu seiner sehr beschränkten Welt, durch den er blickt, geradezu manisch beobachtet.
    Es ist eine seltsam künstliche Welt, in der seltsam künstliche Rituale ablaufen. Reiche, schöne Menschen, die kaum einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen, pflegen ihre Bienentänze, Maskenspiele, ihr Ballett der Abstoßungen, Annäherungen, Umkreisungen. Es ist eine Welt, deren Funktionsweise, deren Krisen, deren Mechanik der freiwillige Exilant akribisch und mit geradezu wissenschaftlicher Neugier über Jahre erforscht hatte – als faszinierter Zaungast, als beteiligter Außenseiter, als Amerikaner in britischen Salons. 1878, der erste Roman, der erste Band mit Geschichten ist erschienen, die Magazine veröffentlichen als Fortsetzungsromane seine ersten großen Erfolge wie Daisy Miller , soll er es auf beinahe hundertfünfzig (angenommene) Dinnereinladungen pro Saison gebracht haben.
Als ob dieses Forschungsfeld noch nicht groß genug gewesen wäre, unterhielt James noch eine Art soziales Informationsnetzwerk, mittels dessen er ständig über die neuesten Entwicklungen der besseren Gesellschaft informiert wurde, was sie gerade mit wem spielt, wer sich gerade in ihren moralischen Fallstricken verfängt, stranguliert. Sammelt Klatschgeschichten und verwandelt sie, schält den Kern von Wahrheit heraus. Klatschgeschichten, wie im Kern das Drama um Diana Belfield eine ist. Die hagestolzhafte, reiche und schöne Diana (sie verfügt garantiert über kastanienbraunes Haar und graue Augen) landet einer unberührbaren Jagdgöttin gleich auf ihrer Grand Tour durch Europa in Nizza, zu ihrer Zeit noch ein weniger elegantes kleines Kaff an der Küste. Wo sie vom augenscheinlich todkranken erzbritischen Gentleman Reginald Longstaff umschlichen, angebetet und schließlich am Totenbett gefreit wird. Longstaffs Heirat – 1878, also im Jahr von Daisy Miller , im Scribner’s Monthly erschienen – ist ein Musterbeispiel für die Transformation einer Klatschgeschichte in Weltliteratur aus der moralischen Anstalt des Henry James. Mit einer durchaus typischen, gnadenlosen, fast misanthropisch zu nennenden Konsequenz spielt Henry James den Fall
der sich aus Stolz und Vorurteil verpassenden Liebenden bis zu ihrem tödlichen Ende durch. Perfekt konstruiert ist dieses geradezu opernhafte Drama, perfekt organisiert ist die Symbolstruktur,
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