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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry
Autoren: Benvolio
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sauber geschliffen die Spannungskurve, kein Gramm dramaturgisches Fett zu viel weist das Drama auf.
    Von Gefühligkeit, von Romantik ist übrigens in den fünf Erzählungen dieses Bandes trotz ihres nicht eben geringen Herzschmerzaufkommens keine Spur. Aus der erzählerischen Halbdistanz, die Henry James, auch im wahren Leben ein Meister im Vermeiden von Nähe, nie verlässt, weht dem Leser vielmehr ein kühler erzählerischer Wind entgegen. James probiert Perspektiven durch, experimentiert mit Formen, vor allem lässt er mehr oder weniger Unbeteiligte des Spiels das Spiel erklären. Sie plaudern, sie konversieren mit dem Leser.
    Ironie ist jenes Heizmittel, dank dessen der im Kern eiseskalte Ton dieser kunstvollen Konversationsstücke des Menschenskeptikers Henry James einem beim Lesen nicht das Blut in den Adern gefrieren lässt. Was wiederum gerade die beiden späteren Erzählungen überraschend modern macht. Benvolio, jener zwischen zwei Frauen, zwei Lebenshaltungen, zwei intellektuellen
Welten hin- und hergerissene, hin- und herschwankende Dichter, geht uns in seiner ganzen Unentschiedenheit, seiner Zauderhaftigkeit ähnlich an die Nieren und auf die Nerven wie zwanzig Jahre später der ebenfalls zwischen zwei Welten, zwischen Stadt und Land, Moderne und Tradition sich zerreißende Emilio Brentani des italienischen Chefironikers Italo Svevo in dessen Frühwerk Senilitá . An ironischer Gnadenlosigkeit im Bloßstellen seines hybriden, manchmal hysterischen Künstlers kann es James in seiner nicht wenig selbstreferentiellen Allegorie durchaus mit Svevos frühmoderner Angestelltenanalyse aufnehmen.
    Mit der 1884 (also nach Bildnis einer Dame und Washington Square ) ausgerechnet im English Illustrated Magazine , dem Klatschmagazin seiner Zeit, erschienenen Erzählung Der Weg der Pflicht stellt James Svevos serpentinenhafte Erzählung allerdings leichthändig in den Schatten. Zur endgültigen Enthüllung der geradezu menschenverachtenden moralischen Mechanik der britischen Salongesellschaft wirft sich Henry James in vermutlich eher umfangreiche Frauenkleider und erzählt verkleidet als in London ansässige amerikanische Übel-Unke in einer geradezu ätzenden Tirade von der sehr serpentinenhaften Beziehung
zwischen dem Bilderbuchgentleman Sir Ambrose Tester und der Bilderbuchlady Vandeleur. Auch das letztlich eine Klatschgeschichte. Denn sie können – stets unter Beobachtung ihrer Klassengenossen – zueinander nicht kommen, die Schöne und der Beau, gehen, gefangen in den gesellschaftlichen Fallstricken und zu schwach, sich ihrer zu entledigen (was durchaus denkbar wäre), ebenjenen«Weg der Pflicht», den Weg der lustvollen Entsagung. Wie in einem Brennspiegel versammelt die vertrackte und bestrickende Erzählung noch einmal fast den gesamten Katalog der James’schen Themen. Den amerikanischen Blick auf die seltsame Liturgie des britischen Gesellschaftslebens. Die Schwäche der Männer, deren Unterlegenheit im Geschlechterspiel Henry James mit einer beeindruckenden Galerie vorführt und als deren Musterexemplar Sir Ambrose ganz gut taugt. Das Sichverfehlen zweier Liebender, die Schwierigkeit eines moralischen Lebens. Das Ringen um persönliche Freiheit, um Leben in einem starren System, einer geschlossenen Gesellschaft, in der sich alles immer vor aller Augen abspielt, weswegen sich alle für alle Masken über Masken aufziehen müssen, so lange, bis sie selbst nicht mehr wissen, welche Maske sie nun tatsächlich
selbst sind, welches Spiel sie nun tatsächlich nicht nur spielen, sondern leben wollen.
    Wer das, wer den denn noch lesen wolle, hat mich mein Lieblingskollege gefragt, als er Sheldon M. Novicks umfassende Henry-James-Biographie auf meinem Schreibtisch liegen sah. Bitte, hab ich gesagt: Maskenspiele! Verfehlte Liebe, verfehltes Leben! Schwache, windelweiche Männer, starke, geradlinige Frauen! Moralisches Handeln in einer amoralischen Gesellschaft! Amerikanischer Blick auf europäisches Wesen! Ironie! Ich glaube, ich hab ihn bekehrt.

    Elmar Krekeler
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