Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry
Autoren: Benvolio
Vom Netzwerk:
mich an Sie», sagte sie.« Ich erinnere mich an jenen Tag.»Doch sie blieb an Ort und Stelle stehen, kam weder zu mir heraus, noch bat sie mich hinein. Sie war verlegen.
    Auch ich fühlte mich ein wenig unbehaglich. Ich bohrte meinen Stock in den Pfad.«Ich habe immer nach Ihnen Ausschau gehalten, Jahr für Jahr», sagte ich.
    « Sie meinen, in Europa?», murmelte Miss Spencer.
    « Natürlich in Europa! Hier sind Sie ja offenkundig leicht zu finden.»
    Sie legte die Hand an den ungestrichenen Türpfosten und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Sie sah mich einen Moment lang an, ohne etwas zu sagen, und ich meinte, jenen Ausdruck
zu erkennen, den man in den Augen von Frauen sieht, wenn sie den Tränen nahe sind. Plötzlich trat sie auf die von einem Riss durchzogene Steinplatte vor der Türschwelle heraus und schloss die Tür hinter sich. Dann lächelte sie beflissen, und mir fiel auf, dass ihre Zähne noch genau so schön waren wie eh und je. Aber es waren auch Tränen geflossen.
    « Waren Sie die ganze Zeit dort?», fragte sie beinahe flüsternd.
    « Bis vor drei Wochen. Und Sie – sind Sie nie zurückgekommen?»
    Mich noch immer mit ihrem starren Lächeln musternd, griff sie mit einer Hand hinter sich und machte die Tür wieder auf:«Aber ich bin nicht gerade sehr höflich», sagte sie.«Wollen Sie nicht hereinkommen?»
    « Ich fürchte, ich bereite Ihnen Ungelegenheiten. »
    « O nein!», erwiderte sie und lächelte mehr denn je. Und mit einer Geste, die mich zum Eintreten aufforderte, stieß sie die Tür ganz auf.
    Ich folgte ihr ins Haus. Sie führte mich in einen kleinen Raum links von der engen Diele, der, wie ich vermutete, ihr Wohnzimmer war, obwohl er nach hinten hinaus lag und wir an der geschlossenen Tür zu einem anderen Raum
vorbeikamen, von dem aus man anscheinend auf die Quittenbäume sah. Der, in den sie mich geführt hatte, gab den Blick auf einen kleinen Holzschuppen und zwei gackernde Hühner frei. Doch ich fand ihn recht hübsch, bis mir auffiel, dass seine Eleganz äußerst schlichter Natur war; daraufhin fand ich ihn nur noch hübscher, hatte ich doch noch nie verschossenen Chintz und alte, mit gefirnissten Herbstblättern gerahmte Mezzotintos 9 so anmutig angeordnet gesehen. Miss Spencer setzte sich, die Hände fest im Schoß verschränkt, an den äußersten Rand des Sofas. Sie wirkte zehn Jahre älter, und es hätte sich sehr wunderlich angehört, hätte man sie jetzt als hübsch bezeichnet. Doch ich fand sie noch immer hübsch, oder zumindest anrührend. Sie war seltsam erregt. Ich versuchte, so zu tun, als bemerkte ich es nicht, doch dann drängte sich mir die Erinnerung an unsere kurze Freundschaft in Havre unwiderstehlich auf, und ich sagte plötzlich und gegen meinen Willen:«Ich bereite Ihnen doch Ungelegenheiten. Etwas bedrückt Sie.»
    Sie hob ihre Hände ans Gesicht und verbarg es einen Augenblick lang in ihnen. Dann ließ sie sie sinken und sagte:«Es ist nur, weil Sie mich daran erinnern…»

    « Sie meinen, ich erinnere Sie an jenen unseligen Tag in Havre?»
    Sie schüttelte den Kopf.«Er war nicht unselig. Er war wunderschön.»
    « Ich bin nie so bestürzt gewesen wie damals, als ich am nächsten Morgen in Ihr Gasthaus kam und feststellte, dass Sie wieder in See gestochen waren.»
    Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie:«Lassen Sie uns bitte nicht mehr davon reden. »
    « Sind Sie direkt hierher zurückgekehrt?», fragte ich.
    « Genau dreißig Tage, nachdem ich abgereist bin, war ich wieder hier.»
    « Und seitdem sind Sie immer hiergeblieben?»
    « O ja!», sagte sie leise.
    « Wann werden Sie wieder nach Europa reisen? »
    Diese Frage schien grausam, doch in ihrer sanften Ergebenheit lag etwas, was mich aufbrachte, und ich wollte sie dazu bringen, ihren Missmut zu äußern.
    Einen Moment lang heftete sie den Blick auf einen kleinen Sonnenfleck auf dem Teppich, dann erhob sie sich und ließ das Rouleau etwas weiter herab, um ihn auszulöschen. Gleich darauf
beantwortete sie meine Frage mit derselben sanften Stimme:«Niemals!»
    « Ich hoffe, Ihr Vetter hat Ihnen Ihr Geld zurückbezahlt. »
    « Es ist mir nicht mehr wichtig», sagte sie, den Blick von mir abgewandt.
    « Ihr Geld ist Ihnen nicht mehr wichtig?»
    « Eine Reise nach Europa.»
    « Wollen Sie behaupten, Sie würden nicht reisen, wenn Sie könnten?»
    « Ich kann nicht – ich kann nicht», sagte Caroline Spencer.«Es ist alles vorbei. Ich denke nicht einmal mehr daran.»
    « Dann hat er Ihnen das Geld
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher