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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Uwe Johnson
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Einladungen, zu denen das Haus Papenbrock nun mehr Lust hatte als früher. Und war nicht die Lisbeth, die in Jerichow bekannt war.
    Rik Lüd ehr Döchter un armen Lüd ehr Kalwer kamen ball an den Mann, und Lisbeth sollte nach Lübeck heiraten, und wollte warten. Papenbrock ließ sie warten. Wie wird Papenbrock seiner Lieblingstochter etwas zum Unguten tun?
    Und gibt sie einem Tischler aus Malchow am See und läßt sie mitgehen nach Richmond in England, 1931, damit sie rauskommt aus den schlechten Zeiten. Holt sie zurück, damit sie ihre Gesine in Jerichow auf die Welt bringt, und hält den Mann fest mit einer Tischlerei im Lande, 1933, als er den Zeitläuften traute. Und sieht drei Jahre lang zu, wie seine Tochter in einer Stadt mit ihm lebt wie krank, und kann das aushalten?
    Die sieht nicht aus wie 30; wer das nicht weiß, gibt fünf Jahre zu.
    Fromm ist sie immer gewesen; aber wenn jetzt die Kinder aus ihrer Christenlehre zurückkommen, die bringen ein Gewissen mit, das kann Einer gar nicht brauchen am täglichen Tag.
    Papenbrock redet mit dem Mann, aber er redet im guten mit Cresspahl, nicht als ob er ihn für schuld hält. Der hält den lieber als die eigenen Söhne.
    Ihr ist immer alles so anzusehen gewesen. Heut magst sie gar nicht ansehen.
    Verkniffen. Vertückscht. Nein, vertückscht nicht; als ob sie eingesperrt wäre. Und war ein Mädchen, wenn die vor dem Spiegel gebetet hat, wußte sie warum. Ihre großen Augen jetzt, daran erkennst sie noch. Am Blick nicht; sieht dich an, als wärst nicht da, als träumte sie was Ängstliches.
    Und Papenbrock steht mit ihr vor der Kirche nach dem Weihnachtsgottesdienst und will ihr was sagen und kann nicht und sackt so zusammen in einem Seufzen und geht krumm ab, als wüßte er nun nicht mehr.
    Wie kann Papenbrock einmal nicht mehr weiter wissen?
    Kann das sein, daß Papenbrock ein Mal uns’ Lisbeth zu etwas Falschem gebracht hat?

25. Dezember, 1967 Montag
    Weihnachten. Immer noch ein Tag zum Feiern, und nicht einmal die New York Times verläßt sich auf mehr Aufmerksamkeit als für bloße 44 Seiten.
    Am ersten Weihnachtenfeiertag 1936 wurde Lisbeth Cresspahl aus dem Haus geholt und ins Kreiskrankenhaus abgefahren. Für Cresspahl ging es so unverhofft, es kam ihm erst mittags planmäßig vor.
    Er hatte sie am frühen Morgen zum letzten Mal gesehen, schlafend neben ihren lang ausgestreckten Armen, flach atmend, mit streng zusammengezogenen Brauen, als müsse sie die wohltätige Betäubung durch Traum und Schlaf doch schon verteidigen. Sie war sich ähnlich wie oft, wenn sie nicht wach war. Er hielt sie immer noch für die, die er vor fünf Jahren geheiratet hatte, für ihn jung, für sich wie für ihn gern am Leben. Sogar stellte er ihre Worte von damals über was sie ihm nun verschwieg. Er hatte an vielen Morgen annehmen mögen, daß sie ihn mit den geschlossenen Augen täuschte; inzwischen mochte er sie nicht mehr fragen.
    Mein Vater war in der Küche, heizte den Herd an für das Kind, das in seinen vielen Kissen und Decken auf dem hochbeinigen Stuhl aus Vietsen thronte und ihm zusah, vorfreudig, gutmütig, arglos. Das Kind hatte schon oft Frühstücke mit ihm gehabt. Die Küche hatte die Wärme des vorigen Abends gehalten, das große Fenster zum Süden stand ganz glatt vor dem morgenschwarzen Himmel. Das Licht der Zuglampe hing ganz dicht über dem Tisch und machte die Holländerkacheln widerscheinen. Als Dr. Berling ins Haus kam, war es kaum hell.
    Dr. Berling mag es nicht aufgegangen sein, daß Cresspahl von dem Telefonanruf seiner Frau nichts wußte. Kam durch die vordere Tür, meldete sich mit Fußstampfen auf der Treppe an, war in der Küche, ging mit ärgerlichem Gruß vorbei an dem Vater, der seinem Kind süße warme Milch einlöffelte, offenbar unerschrocken, zog die Tür zum Schlafzimmer hinter sich zu, zog sie noch einmal zu, als Cresspahl hinterher wollte. Kam zurück, mit einem Mal tröstlich, behutsam, bewegte sich rasch mit all seiner Massigkeit, hielt Cresspahl auf Trab mit Anweisung nach Anweisung: Decken vorbereiten; Wärmflaschen vorbereiten; eine Garnitur Wäsche einpacken; das Kreiskrankenhaus in Gneez vorwarnen aber ja keine Ambulanz bestellen; etwas Undurchlässiges besorgen wegen der Blutung; man tau; man tau. Das Kind fing erst an zu brüllen, als es in der Küche allein zurückgeblieben war und Cresspahl seine Frau über den verschneiten Hof zu Berlings Wagen trug, ein ungelenkes, schlappes Paket. Der Kopf hing ihr nach hinten, daß es
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