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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Uwe Johnson
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Besuchen in Podejuch oder in jenem Ferienhaus in Althagen auf dem Fischland fremd gefühlt, so wenn die Paepckesche Bildung oder Vornehmheit durchschien und das Kind Alexandra unbefangen sagte: Bitte Thé, s-prach das Rhé. Hilde und Alexander aber seien für ihn –. Alexander sei zugrunde gegangen, weil er im besetzten Rußland fremden Kindern habe helfen wollen. Seine eigenen starben mit Hilde im Frühjahr 1945 in Vorpommern, in einem Militärlastwagen, der unter dem Beschuß von Tieffliegern ausbrannte.
    Dennoch habe nicht Alexander jene Sache gewußt; nur Alfred Bienmüller, Huf- und Nagelschmied zu Jerichow.
    Cresspahl habe Alexander nicht gefährden mögen. Bienmüller sei eine Notstation gewesen. Im übrigen wisse Alfred nicht genug, um auch nur ein Zehntel der Geschichte zusammenzudenken.
    Aber KLAUS BÖTTCHER denke da nicht wenig. Er erfinde nunmehr Gründe, aus denen Cresspahl bis 1944 noch die geringfügigsten Sachen von der Armee habe wissen wollen, und wenn es um Achselschnüre eines Regiments gegangen sei.
    Klaus möge sich um seines Vaters Tischlerwerkstatt kümmern; ihm stehe eine ausgewachsene Tiefenprüfung durch das Finanzamt der neuen Regierung bevor. Und am Ende habe man ihn nicht aus seinem Waldlager im tiefen tiefen Rußland vor der Zeit geholt, damit er mit dummem Zeug hausieren gehe.
    Cresspahl –?
    In Gemeinschaft mit anderen.
    DR. KLIEFOTH .
    Weil er ein Lehrer des Englischen gewesen sei? Gewiß habe er gern und fast herausfordernd erzählt von seinen Zeiten als Ic an der Ostfront, von den Aufklärungsflügen über die sowjetischen Linien, vielleicht in einer Art, als setze er bei Cresspahl eine nicht gewöhnliche Neugier voraus. Aber Kliefoth sei auch gleichgültig genug gewesen, die B. B. C. nicht bloß abzustellen, weil ein Besuch kam.
    LESLIE DANZMANN .
    Eine Freundin Lisbeths, aus der Pensionatszeit in Rostock, der um 1940 die Witwenpension der Marine zu knapp wurde, so daß sie in einer Villa bei Rande vor Jerichow als Hausdame leben mußte. Sie als einzige hätte bemerken können, daß Cresspahl ihren »Fritz« nicht besuchen kam, um die Nächte durchzutrinken, sondern ihm die Neuigkeiten vom Fliegerhorst Mariengabe oder vom Konzentrationslager Barth mitzuteilen. Jedoch habe sie sich geniert vor »Lisbeths Mann«, und es seien ja jeweils genügend leere Flaschen auf dem Tisch zurückgeblieben.
    Aber es bleibe doch wahr.
    Es sei nicht die Zeit, es auszusprechen. Erst einmal müsse so eine englische Sache in erfundenen Mitteln breitgetreten werden, in Filmen oder sogenannten Tatsachenbüchern, um dergleichen erträglicher zu machen für die Öffentlichkeit; dann seien die sogenannt wissenschaftlichen Bücher abzuwarten, die jede Dekade einen halben Meter an die Wahrheit vorrücken würden; in fünfzig Jahren, nach der Öffnung der Archive, werde sie dem Verständnis so nah sein wie heutzutage die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, oder so entfernt wie der Mond von Jerichow.
    Aber –
    Er begreife es wohl, daß das Schweigen einer Sechzehnjährigen schwerer falle als einem Kind von neun Jahren. Er habe sich genug Vorwürfe gemacht, als sein Kind auf einen Trick von Ottje Stoffregen hereinfiel.
    OTTJE STOFFREGEN ?
    Hauptlehrer an der Hermann-Göring-Schule von Jerichow. Heimatforscher und vormals Bewerber um eine Verehelichung mit Lisbeth Papenbrock, wenn Peter Wulff zu glauben sei. Es sei also unbesehen zu glauben, und Ottje werde an Cresspahls Kind nicht nur seine Erinnerungen ausgelassen haben, auch seine Alkoholkrankheiten. Stoffregen habe in der Musikstunde auf dem Klavier die ersten vier Töne einer Sinfonie von Beethoven angeschlagen, das Erkennungszeichen der British Broadcasting Corporation, und die Klasse gefragt, wer diese Tonfolge kenne. Und es sei Cresspahls Kind gewesen, das sich gemeldet habe.
    Entschuldigung. Entschuldigung!
    Dazu sei er bereit. Und die Greifer von der Gestapo hätten bei ihrer Haussuchung eben nicht ein Gerät wie Alexanders Blaupunktradio gefunden, mit magischem Auge und automatischem Sendersucher, sondern was damals Empfänger des Volkes hieß. Volksempfänger. Und das Cresspahlsche Kind habe sich ja sofort darauf besonnen, daß es die vier Töne von einem Schallplattenkonzert bei den Paepckes erinnere, und mit der beschworenen Aussage Alexanders habe auch die Gestapo sich zufrieden zeigen müssen. Alexander habe die Gefälligkeit gern geleistet; und C. sei erleichtert, daß die Sache dann gleich habe vergessen werden können, bis zu
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