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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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konnte es nicht werden, dachten wir. Es wurde schlimmer.
    Neben dem Eingang zum Gemeindehaus wurde täglich die Zeitung
Der Banater Kämpfer
in einem Glaskasten ausgestellt. Jede Seite, jede Zeile berichteten davon, dasssich ein neuer Sturm über uns zusammenbraute. Genosse Stalin und die Wundertaten der Sowjetunion wurden in jeder Ausgabe gerühmt, ebenso Arbeiter und Bauern, die die Quoten übertroffen hatten und zu Helden des Volkes erklärt wurden.
    Berichte über Parteibeschlüsse und Anklagen gegen jeden, der angeblich den Kommunismus sabotierte, nahmen immer mehr Platz ein. Das einzig Gute, wenn man überhaupt davon sprechen konnte, war, dass sich diese Ungerechtigkeit auf alle verteilte. Es konnte jeden treffen: Deutsche, Ungarn, Rumänen, Serben, Bulgaren, darüber hinaus altgediente Politiker und Militärs, einfache Leute oder Gebildete.
    Es war die goldene Zeit der Denunzianten. Sie rächten sich an denen, die sie schlecht behandelt hatten, wie sie meinten, oder schlecht behandeln könnten. Sie rächten sich an den Nachbarn, weil sie eine größere Wohnung hatten, die sie selbst gern bewohnt hätten, und an den früheren Arbeitgebern, einfach weil sie Arbeitgeber gewesen waren. Arbeitskollegen wurden denunziert, um an ihre Stelle zu kommen.
    Es genügte schon, dass man Leute auf seinem Hof beschäftigt hatte, um denunziert zu werden. Es genügte, Bauer zu sein, um in Verdacht zu geraten, dass man sich nicht genug anstrengte, um die Quoten zu erfüllen. Dass man einen Teil des Ertrages für sich selbst behielt. Es genügten ein Blick, eine Bemerkung, oft nicht einmal das. Der Denunziant denunzierte, weil er ein Denunziant geworden war.
    Das Besorgniserregendste aber war, dass das Zentralkomitee der Partei neue Maßnahmen vorbereitete. Wir hielten das alles für Worthülsen, Parolen, die man niemalsin die Tat umsetzen würde. Man würde, wenn auch nicht unsere Meinung oder unsere Stimme, dann doch unsere Arbeitskraft brauchen.
    Vater und ich lebten nebeneinander her, es gab wenig, was wir uns noch nicht gesagt hätten. Meist verstrichen die Abende ohne ein einziges Wort, und am Tag, in der Kooperative, achtete ich darauf, dass man uns in verschiedene Arbeitsbrigaden einteilte. Wir lebten in einem Männerhaushalt, in dem alles schmutziger, unordentlicher und vernachlässigter wurde, wie im Haus des Popa Pamfilie. Es störte uns nicht.
    Ich begann mich allmählich damit anzufreunden, dass ich im Schlamm von Triebswetter stecken geblieben war und dass die mir zugedachte Aufgabe diejenige eines Stallknechts war. Im Grunde genommen hatte ich jahrelang für ein paar Knochen, die niemand vermisste, im Dreck gewühlt, jetzt tat ich es offiziell im Dung der Tiere der Kooperative.
    Am Mittag des 17. Juni, einem Sonntag, wurden wir von einem heftigen Klopfen an unserem Tor aufgeschreckt. Sarelo öffnete und wurde vom angetrunkenen Bürgermeister zur Seite geschoben. «Obertin!», rief er Vater zu. «Ich muss dir etwas sagen.» Der Bürgermeister wankte und musste sich am Zaun festhalten, um nicht umzufallen. Er wollte uns etwas mitteilen, doch er entschied sich anders. Er trocknete sich die Stirn mit einem Handtuch ab, danach auch den Nacken. Wie sehr er sich auch anstrengte, die Worte kamen ihm nicht über die Lippen.
    «Was denn?», fragte Vater.
    Der Bürgermeister rang mit sich selbst. «Gar nichts, vergiss es.» Er drehte sich um und sagte im Weggehen:«Heute Nacht wirst du Kommunist, Jakob. Du wirst so etwas von einem Kommunisten! Die Nacht der Nächte. Halte dich bereit!» Dabei lachte er auf, und er lachte immer noch, als er wieder auf der Gasse stand. So plötzlich, wie er gekommen war, war er wieder verschwunden. Zurück blieb nur unsere Sorge, dass ein Säufer möglicherweise ein besserer Prophet war als ein nüchterner Mensch.
    Seit Tagen erzählte man sich, dass große Militärmanöver im Gange waren. Wer aus Temeschwar gekommen war, hatte endlose Lastwagenkolonnen und Soldaten gesehen, die auf einen bald anlaufenden Einsatz zu warten schienen. Unter den Helmen sah man junge, ahnungslose Gesichter von Soldaten, die gelangweilt in ihrem Eßgeschirr herumstocherten, doch ihre Waffen waren jederzeit griffbereit, und die Offiziere waren angespannt und ungeduldig.
    Infanteristen – so hatten wir von einem Bauern erfahren – waren unweit von Triebswetter in einem Wäldchen aufgetaucht. Man hatte den Bauern verhaftet, als er im Wald nach seinen Schweinen gesucht hatte, und unter der Bedingung wieder
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