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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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mischte sich Vater ein: «Genosse Leutnant, ich heiße auch Jakob, aber mit
k
. Ich möchte mit meinem Sohn mitgehen. Allein habe ich hier nichts mehr verloren. Ich wundere mich, dass
ich
nicht auf der Liste stehe, da ich doch der größere Volksfeind bin als mein Sohn.»
    Der Offizier schaute sich die Namensliste auf dem zweiten Blatt genau an. «Ein Jakob mit
k
ist vom Bürgermeister in letzter Minute durchgestrichen worden.»
    Vater packte ihn am Ärmel: «Bitte, Herr Leutnant. Sie können ihn wieder einfügen. Sie können sagen, dass Sie nicht sicher waren, wer wirklich gemeint war, und dass Sie beide mitgenommen haben, um keinen Fehler zu machen. Sie können doch so etwas sagen, nicht wahr?»
    Der Offizier sah Vaters Hand an, dann sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: «Wenn Sie nicht sofort loslassen, erschieße ich Sie!» Für einen Augenblick war Vater wieder der Alte, der sogar in einer solchen Situation durchsetzen wollte, was er für richtighielt, doch jetzt gehorchte er. «Sie haben mir nicht zu sagen, was ich kann oder nicht!», fügte der Offizier hinzu. Mit dem Daumen strich sich der Leutnant über seinen frisch gestutzten blonden Schnurrbart.
    «Lassen wir sie doch beide zusammen verrecken, Genosse Leutnant», sagte der Major.
    Der Leutnant ging nervös hin und her, als ringe er um eine Entscheidung, dann blieb er plötzlich stehen. «Der Teufel soll Sie verstehen, Obertin. Gut, wenn Sie es so wollen.» Er legte das Blatt Papier auf den Tisch, holte einen Bleistift hervor, fügte Vaters Namen neben dem bereits durchgestrichenen wieder ein, und bevor er den Raum verließ, sagte er: «Ihr habt zwei Stunden Zeit, um alles zu packen, was ihr zu den Zügen tragen könnt oder was auf einem Karren Platz hat. Die Züge warten bei der Haltestelle, wie das letzte Mal. Aber jetzt habt ihr eine Fahrkarte in den Osten.»
    Selbstzufrieden zwinkerte er uns zu, dann erteilte er seinen Soldaten den Befehl, uns zu erschießen, wenn wir flüchten wollten. Zusammen mit dem Major verschwand er in der Nacht, um sein Werk anderswo genauso gründlich zu verrichten wie bei uns. Wir spannten unsere letzten zwei Kühe vor den Karren und luden unsere zwei Schränke, den Tisch, die Stühle und das Bettzeug darauf. Dann stopften wir die Schränke mit Schuhen und Stiefeln, Kleidern, Geschirr und Werkzeug voll. Sarelo, der inzwischen aufgetaucht war und seine Aufregung kaum verbergen konnte – denn bald würde er uns ohne viel Mühe los sein –, brachte uns einen Teppich und eine Matratze. Von ihm bekamen wir auch eine Schaufel und einige Säcke mit Kornsamen.
    Hin und wieder waren Schüsse zu hören, der Ring umdas Dorf sei engmaschig gezogen worden, sagte ein Soldat, der inzwischen hinzugekommen war. Die meisten, die durch die Felder fliehen wollten, wurden aufgegriffen, andere hatten sich im Heu oder unter einem Haufen Maiskolben versteckt.
    Eine Frau hatte sich mit ihrer Tochter in einem Hohlraum hinter der Hauswand versteckt, als man sie dort fand, saßen sie auf Getreidesäcken, die sie dem Volk hatten vorenthalten wollen. Eine verrückte alte Frau, so bezeichnete sie der Soldat, habe sich in ein Regenwasserreservoir gestürzt, man habe sie kurz vor dem Ertrinken herausgefischt und anschließend windelweich geprügelt. Aufgeregt berichtete der Soldat davon, als würde er irgendeine Neuigkeit überbringen und damit ein wenig Abwechslung in das monotone Kasernenleben. Nicht anders hätte er es getan, wenn es sich um die kurze, flüchtige Eroberung eines Mädchens beim Wochenendausgang gehandelt hätte.
    Wir brachten den Karren auf die Gasse, wo schon viele andere standen, bereit für die Abfahrt. Manche schluchzten und klagten, andere bettelten eingeschüchtert oder versuchten, in einem letzten Anflug von Stolz mehr für sich herauszuholen. Niemand begehrte gegen die Ungerechtigkeit der Deportation auf, sondern nur dagegen, nicht genug Platz oder Zeit zu haben.
    Einige nahmen sogar ihre Pflüge, Kühe und Pferde mit. Wir teilten uns unseren Viehwaggon mit einer alteingesessenen rumänischen Familie. Der verzweifelte Mann, der weder reich noch politisch aktiv gewesen war und seine Quoten, wie er beteuerte, immer pünktlich geliefert hatte, wusste überhaupt nicht, was er dort zu suchen hatte. Ihm war klar, dass es uns erwischen musste, unsDeutsche, aber doch nicht ihn und die Seinen. Er jammerte neben seiner verstummten Frau und dem Knaben, der sich mit entsetztem Gesichtsausdruck an sie drückte. Er hatte sein
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