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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Räumen bereits rumänische Siedler niedergelassen hatten. Kurz vor unserem erneuten Aufbruch war die Zeit zurückgedreht worden, bis zu jenen ersten Monaten und Jahren im Banat, als das Leben vom Schlamm und Typhusfieber heimgesucht worden war und jede Krankheit ein Leichtes hatte, sich ihre Opfer unter den zusammengepferchten Menschen auszusuchen.
    Ich machte kein Auge zu, so wie damals Frederick, als er den Entschluss fasste, aus Lothringen zu fliehen. Je mehr ich grübelte, desto mehr Zweifel kamen auf. Ich war ein fünfundzwanzigjähriger Mann, der auch in Triebswetter zwar kein eigenes Land, aber doch eine Frau finden würde. Vielleicht ließe es sich auch unter Schweinen und völlig zerlumpt leben.
    Ich würde heiraten, Vater würde bei mir wohnen, und ich würde ihn ertragen, vielleicht sogar ein wenig lieben. Vielleicht würde ich studieren, so wie er es mir prophezeit hatte, denn die Bücher, die ich bislang gelesen hatte,hatten meinen Appetit geweckt. Es musste nicht alles in Triebswetter enden, aber auch nicht an einem gottverlassenen, dem Wind und der zu erwartenden Feindseligkeit der Franzosen ausgesetzten Ort.
    Doch als der Morgen anbrach, stieg ich über Vater hinweg und machte mich bereit. In Erwartung des vereinbarten Zeichens setzte ich mich hin, der Koffer stand neben dem Stuhl, ich legte meine Mütze in den Schoß und betrachtete Vater. Seine Hand lag auf der Decke, man konnte noch gut die Stelle sehen, wo er mehr als zwei Jahrzehnte lang den Ehering getragen hatte. Ich wollte ihn gerade wecken, als er plötzlich die Augen öffnete und mich ansah. Da ertönte von der Gasse her unwiderruflich die Trillerpfeife des Pfarrers.
    Die Blaskapelle, die der Bürgermeister organisiert hatte, spielte einen Trauermarsch, weil die rumänischen Musiker nur Trauermärsche und Hochzeitslieder kannten. «Es ist ja ein wenig wie Sterben», hatte der Bürgermeister die Musikauswahl kommentiert. Die übernächtigten Musiker hatten eilig ihre Uniformen angezogen, als wären sie von unserem Abzug überrascht worden. Die Mützen tief in den Nacken gedrückt, die Hemdzipfel aus den Hosen hängend, bliesen sie sich für uns die Seele aus dem Leib, wie sie es noch für keinen Toten getan hatten.
    Vor jedem Haus warteten Leute darauf, sich der schweigsamen Kolonne anzuschließen, manch einer zu Fuß, andere mit ihren Karren. Schnell konnte man die, die abreisten, von denen, die blieben, unterscheiden. Erstere trugen Koffer bei sich oder saßen auf den Karren. Familien, die auseinandergerissen wurden, Brüder und Schwestern, Eltern und Kinder, gingen nebeneinanderher und steckten die Köpfe zusammen, um sich ein letztes Mal abzusprechen.
    Mütter hielten Kinder an der Hand, die sich später an ihr früheres Leben kaum noch erinnern würden, die es in den Erzählungen der Alten suchen oder überhaupt nicht mehr suchen würden. Leere Höfe mit wenigen Tieren blieben zurück, um die sich die an Ort Gebliebenen kümmern würden. Manch einer vergewisserte sich bei seinen Nachbarn, dass sich dieser seiner Toten annehmen würde.
    Vater lief neben mir her, ohne mich ein einziges Mal anzusehen, wir gingen nun an der stummen Kirche vorbei, und von Minute zu Minute schwoll der Menschenstrom an. Zu den Auswanderern und zu denen, die sich von ihnen verabschieden wollten, gesellten sich Neugierige hinzu. Wir überquerten die Dorfgrenze, eine zwar imaginäre, aber für jeden von uns klare Trennlinie zwischen uns und der übrigen Welt, dann näherten wir uns dem Zigeunerhügel, der nur mir einige Blicke entlockte.
    Der Bürgermeister, der gleich neben dem Pfarrer und hinter der Musikkapelle an der Spitze des Zuges marschierte, ermahnte uns zur Eile. Doch wie von einer unsichtbaren, schweren Hand festgehalten, wurden wir langsamer. Weit vor uns bog ein Automobil mit lautem Quietschen in die Straße ein, die nach Triebswetter führte. Es fuhr uns eine Weile mit hoher Geschwindigkeit entgegen und bremste dann auf unserer Höhe ab.
    Ein junger Offizier, ein Leutnant des Geheimdienstes mit glänzenden Stiefeln und perfekt sitzender Uniform, stieg aus und nach einem leisen Wortwechsel mit dem Bürgermeister trat er vor die Kolonne. Sein Fahrer lehnte unbeteiligt am Wagen und zündete sich eine Zigarette an, dann spuckte er auf den Boden. Wir aber starrten auf dieLedertasche des Leutnants, die prall gefüllt war und in der wir unsere Pässe vermuteten. Stahlblau erstreckte sich der Himmel über uns und kündigte einen schönen Tag an.
    Sobald die
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