Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Schritt ins Leere

Ein Schritt ins Leere

Titel: Ein Schritt ins Leere
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
1
     
    B obby Jones stellte sich in Positur und pendelte zur Vorbereitung einige Male mit dem Schläger über dem Ball hin und her. Dann hob er den Schläger langsam nach hinten und zog schließlich blitzschnell durch.
    Flog der Ball auch brav in gerader Richtung, um sanft steigend über das Hindernis hinwegzusetzen?
    Nein, er tat es nicht. Nur am oberen Ende getroffen, kollerte er lässig über den Boden und vergrub sich schließlich fest im Hindernis.
    Es gab keine interessierte Zuschauermenge, die entsetzt hätte aufstöhnen können. Der einzige Zeuge des Schlages zeigte keine Überraschung. Und das ist schnell erklärt: Denn es war kein amerikanischer Meisterspieler, der sich eben so blamiert hatte, sondern nur der vierte Sohn des Pfarrers von Marchbolt, einem an der Küste von Wales gelegenen Städtchen.
    Bobby knurrte einen durchaus unheiligen Stoßseufzer. Er war ein netter junger Mensch von etwa achtundzwanzig Jahren. Sein bester Freund hätte nicht behaupten können, dass Bobby schön sei; aber sympathisch musste jeder sein Gesicht finden. Die braunen Augen darin strahlten mit der ehrlichen Freundlichkeit eines Hundes.
    «Ich verschlechtere mich von Tag zu Tag», grollte er niedergeschlagen.
    «Weil Sie pressen», urteilte sein Partner Dr. Thomas, der trotz seines grauen Haares fröhlich und jung geblieben war. Er selbst zog niemals durch, sondern setzte kurze, gerade Treibschläge, mit denen er bessere, jedoch ungleichmäßig spielende Gegner für gewöhnlich besiegte.
    Jetzt attackierte Bobby seinen Ball heftig mit einem Niblick. Beim dritten Mal hatte er Erfolg: Der Ball lag unweit des von Dr. Thomas dank zwei achtbarer Mashies erreichten Grüns.
    «Ihr Loch», verkündete Bobby.
    Sie gingen zum nächsten Abschlagplatz.
    Der Doktor spielte zuerst – sein Ball flog schnurgerade, allerdings nicht weit.
    Bobby seufzte, pendelte mit dem Schläger lange Zeit hin und her, hob ihn steif nach hinten, schloss die Augen, reckte den Kopf, drückte seine rechte Schulter herab, kurz, er tat alles, was er nicht hätte tun sollen, und schickte den Ball einwandfrei die Mitte der Bahn entlang. Vor Genugtuung holte er tief Atem. Die wohl bekannte Schwermut des Golfspielers schwand aus seinem beredten Gesicht und machte dem ebenso bekannten Frohlocken Platz.
    «Jetzt weiß ich, wie ich es anzufangen habe!», erklärte Bobby, was durchaus nicht der Wahrheit entsprach. Ein perfekter Mashie, ein kleiner Putterschlag, und Bobby triumphierte mit einer stattlichen Vier.
    Voller Vertrauen nahm er am sechzehnten Abschlagplatz Aufstellung. Wiederum tat er alles, was er nicht hätte tun sollen, aber dieses Mal ereignete sich kein Wunder. Der Ball sauste im rechten Winkel davon!
    «Wenn der gerade gewesen wäre…!», äußerte Dr. Thomas.
    «Wenn!» Bobbys Stimme erstickte fast vor Bitterkeit. «Hallo, war das nicht ein Schrei? Hoffentlich hat der Ball nicht irgendjemanden getroffen.»
    Er spähte aufmerksam nach rechts. Aber da er direkt in die untergehende Sonne sehen musste, war es schwer, irgendetwas deutlich zu erkennen. Überdies stieg ein leichter Nebel von der See empor. Die Entfernung bis zum Klippenrand betrug nur wenige hundert Meter.
    «Der Fußweg läuft dort entlang», sagte Bobby Jones. «Freilich kann der Ball kaum so weit geflogen sein. Trotzdem glaubte ich einen Schrei zu hören. Sie nicht auch?»
    Aber der Arzt verneinte.
    Also begab Bobby sich auf die Suche nach seinem Ball und entdeckte ihn schließlich auch – schlechterdings unspielbar, eingebettet in einem Ginsterbusch. Er hackte ein paar Mal an ihm herum, nahm ihn dann auf und rief seinem Partner zu, dass er das Loch preisgäbe. Der nächste Abschlagplatz lag ziemlich am Rand der Klippen und war für Bobby gewissermaßen ein Schreckgespenst. Man musste den Ball nämlich über eine Schlucht treiben. Die Entfernung war nicht gerade groß, indes wirkte die Anziehungskraft der Tiefe geradezu magisch. Sie hatten den Fußpfad überquert, der nun, nachdem er unmittelbar am Rande der Klippen entlanggeführt hatte, schroff abbog.
    Dr. Thomas nahm ein Eisen und landete seinen Ball knapp auf der anderen Seite. Und jetzt kam für Bobby der gefürchtete Moment. Er holte tief Atem und schlug zu. Der Ball trudelte vorwärts und verschwand über den Rand der Schlucht. «Verteufeltes Pech!», ergrimmte sich Bobby. «Jedes Mal passiert es mir.»
    Er beugte sich hinabspähend über den Abgrund. Weit unten glitzerte die See, aber nicht jeder Ball ging in ihrer Tiefe verloren.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher