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Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Titel: Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Autoren: Lee Child
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sah unerreichbar hoch über sich die Tropfe hängen. Das Ventil, das der Arzt verstellt hatte. Er hörte es wieder klicken. Dieses leise Geräusch hatte er deutlich vernommen. Der Klarsichtbeutel des Tropfs war mit einem grünen Wort beschriftet. Es stand auf dem Kopf. Er kniff die Augen zusammen, um es lesen zu können. Konzentrierte sich ganz darauf. Es lautete Morphium.
    »Scheiße«, flüsterte er, und der Raum versank in Dunkelheit.

    Als er seine Augen wieder öffnete, war es früher am Tag. Vormittag, nicht Nachmittag. Jodie saß in dem Sessel am Fenster und las. Dasselbe Buch. Ihr Kleid war blau, nicht gelb.
    »Es ist morgen«, sagte er.
    Sie klappte ihr Buch zu, stand auf, trat ans Bett, beugte sich über ihn und küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss, dann biss er die Zähne zusammen, zog die IV-Nadeln aus seinem Arm und ließ sie über die Bettkante fallen. Aus den dünnen Schläuchen tropfte es auf den Fußboden. Er setzte sich auf und fuhr sich mit einer Hand über seinen stacheligen Kopf.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie.
    Er saß reglos im Bett und konzentrierte sich auf eine gründliche Inspektion seines Körpers, die mit den Zehen begann und an der Schädeldecke aufhörte.
    »Gut«, antwortete er.
    »Du hast Besuch«, sagte Jodie. »Sie haben gehört, dass du wieder bei Bewusstsein bist.«
    Er nickte, dann streckte er sich. Er konnte die Brustwunde spüren. Sie saß links. Dort war eine gewisse Schwäche fühlbar. Er griff mit der linken Hand nach oben zum Ständer mit den Tropfen. Der senkrechte Stab aus rostfreiem Stahl war am oberen Ende zu einer runden Spirale gebogen, die als Halterung für die Klarsichtbeutel diente. Er legte die Hand über die Spirale und drückte kräftig zu. Er spürte kleine Blutergüsse im Ellbogen, wo die IV-Nadeln gesteckt hatten, und ein Ziehen in der Brust, wo die Kugel eingedrungen war. Aber trotzdem verformte sich die Stahlspirale unter seinen Fingern zu einem Oval. Er lächelte.
    »Okay, schick sie rein«, sagte er.
    Er wusste, wer die Besucher waren, noch bevor sie sein Zimmer betraten. Das verriet ihm das Geräusch. Die Räder des Wägelchens mit der Sauerstoffflasche quietschten. Die alte Mrs. Hobie trat zur Seite und ließ ihren Mann zuerst eintreten. Sie trug ein hübsches neues Kleid, er seinen alten Sergeanzug. Er schob das Wägelchen an ihr vorbei und blieb stehen, umklammerte den Griff mit der linken Hand und hob seine zitternde Rechte, um militärisch zu grüßen. Reacher erwiderte den Gruß auf gleiche Weise. Als er ihn zackig beendet hatte, schob der alte Mann sein Wägelchen langsam zum Bett, während seine Frau hinter ihm hertrippelte.
    Die Hobies waren wie verwandelt. Immer noch alt und gebrechlich, aber von heiterer Ruhe erfüllt. Er dachte an Newmans fensterloses Labor auf Hawaii und erinnerte sich an Allens Sarg mit Victor Hobies Skelett. Victor Hobies alte Knochen. Er hatte sie noch deutlich vor Augen. Sie waren unverwechselbar. Die hohe, breite Stirn, der gut geformte Schädel. Die gleichmäßigen weißen Zähne. Die langen Gliedmaßen. Ein edles Skelett.
    »Er war ein Held, wissen Sie.«
    Der alte Mann nickte.
    »Er hat seine Pflicht getan.«
    »Viel mehr als das«, sagte Reacher. »Ich habe seine Akte gelesen und mit General DeWitt gesprochen. Er war ein mutiger Flieger, der mehr als nur seine Pflicht erfüllt hat. Durch seine Tapferkeit hat er vielen Kameraden das Leben gerettet. Wäre er nicht gefallen, besäße er jetzt drei Sterne. Er wäre entweder General Victor Truman Hobie mit einem bedeutenden Posten in der Army oder einem wichtigen Job im Pentagon.«
    Die alte Dame legte ihre magere, blasse Hand in die ihres Mannes, und beide hatten feuchte Augen. Sie stellten sich vor, was alles hätte sein können.
    »Jetzt kann ich glücklich sterben«, sagte er.
    Reacher schüttelte den Kopf.
    »Nein, das können Sie noch nicht«, meinte er. »Sie müssen das Denkmal für die Gefallenen des Vietnamkriegs besichtigen und seinen Namen darauf lesen. Ich möchte, dass Sie mir ein Foto davon mitbringen.«
    Der alte Mann nickte, und seine Frau lächelte.
    »Miss Garber hat uns erzählt, dass Sie vielleicht nach Garrison ziehen«, bemerkte sie. »Dann wären wir praktisch Nachbarn.«
    Reacher nickte.
    »Vielleicht«, sagte er.
    »Miss Garber ist eine feine junge Frau.«
    »Ja, Ma’am, das stimmt.«
    »Hör auf mit dem Unsinn«, ermahnte ihr Mann sie. Dann erklärten sie Reacher, dass sie nicht länger bleiben könnten, weil ihre Nachbarin, die sie
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