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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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in Cincinnati herwehten. Er war ein Mann von vierzig Jahren, mit einem Bauch, einer Ehefrau, zwei Kindern und einem guten Gehalt, das jedoch nicht ausreichte, um ein Haus in der Gegend zu kaufen, in der seine Frau leben wollte. Das alles hat er mir einmal bei einem Bier im Wynkoop erzählt. Es war in den vier Jahren das einzige Mal gewesen, dass wir uns außerhalb der Redaktion trafen.
    An einer Wand von Glenns Büro hingen die Titelseiten der letzten sieben Tage. Seine erste Amtshandlung an jedem Morgen bestand darin, die sieben Tage alte Titelseite abzunehmen und durch die neueste zu ersetzen. Ich vermute, das tat er, um den Überblick über die Nachrichten zu behalten und die Kontinuität unserer Berichterstattung zu überprüfen. Glenn legte den Hörer auf und sah mich an.
    » Danke, dass Sie gekommen sind«, begrüßte er mich. »Ich wollte Ihnen nur noch einmal persönlich sagen, wie Leid mir die Sache mit Ihrem Bruder tut. Und wenn Sie das Gefühl haben, mehr Zeit zu brauchen - kein Problem. Dann lassen wir uns etwas einfallen.«
    »Danke, aber ich bin wieder da.«
    Er nickte, machte aber keinerlei Anstalten, mich zu entlassen. Ich wusste, dass hinter dem Herbeizitieren noch etwas anderes steckte.
    »Also, dann zum Geschäft. Haben Sie im Moment irgendetwas laufen? Soweit ich mich erinnere, wollten Sie gerade mit Ihrem nächsten Projekt anfangen, als ... als das passierte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Ihnen jetzt gut tun würde, sich mit etwas zu beschäftigen. Sie wissen schon, sich wieder in die Arbeit zu stürzen.«
    In diesem Moment wurde mir klar, was ich als Nächstes tun wollte. Oh, der Gedanke war schon die ganze Zeit da gewesen. Aber er war nicht an die Oberfläche gekommen. Nicht, bevor Glenn mir diese Frage gestellt hatte. Danach lag es natürlich auf der Hand.
    »Ich werde über meinen Bruder schreiben«, sagte ich.
    Ich weiß nicht, ob es das war, was Glenn von mir hatte hören wollen, aber ich nehme es an. Ich glaube, er hatte Interesse an der Story gehabt, seit die Cops unten im Foyer auf mich gewartet und mir mitgeteilt hatten, was mein Bruder getan hatte. Und er war vermutlich intelligent genug, um zu wissen, dass er mir die Story nicht nahe zu legen brauchte, dass ich von selbst auf sie stoßen würde. Es genügte, wenn er mir seine simple Frage stellte. Jedenfalls schluckte ich den Köder.
    Danach änderte sich alles in meinem Leben. Damals glaubte ich, etwas über den Tod zu wissen. Ich glaubte, über das Böse Bescheid zu wissen. Aber ich wusste überhaupt nichts.
3
    William Gladdens Augen musterten die glücklichen Gesichter, die sich an ihm vorbeibewegten. Es war wie ein riesiger Verkaufsautomat. Bitte wählen Sie. Den mögen Sie nicht? Hier kommt schon die Nächste. Ist sie die Richtige?
    Diesmal war niemand der oder die Richtige. Außerdem waren ihre Eltern viel zu nahe. Er würde warten müssen, bis jemand einen Fehler machte. Auf die Pier hinausging oder hinüber zu dem Verkaufsstand, um Zuckerwatte zu kaufen, und sein Goldstück so lange allein ließ.
    Gladden liebte das Karussell an der Pier von Santa Monica. Nicht etwa, weil es einmalig war und es - der Story in dem Schaukasten zufolge - sechs Jahre dauerte, eines der galoppierenden Pferde mit der Hand zu bemalen, es wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Er liebte das Karussell auch nicht, weil es in zahllosen Filmen zu sehen gewesen war, die er im Laufe der Jahre gesehen hatte, vor allem, während er in Raiford war. Und er liebte es auch nicht etwa, weil es Erinnerungen an die Runden auf dem Karussell beim Sarasota County Fair heraufbeschwor, die er dort zusammen mit seinem Best Pal gedreht hatte. Er liebte es wegen der Kinder, die darauf fuhren. Unschuld und Hingabe an reinstes Glück spiegelten sich auf jedem Gesicht wider, während das Karussell sich zum Klang der Drehorgel drehte. Seit seiner Ankunft aus Phoenix war er immer wieder hierhergekommen, jeden Tag. Er wusste, dass es einige Zeit dauern konnte, aber eines Tages würde sich das Warten schließlich auszahlen, und er würde seinen Auftrag erledigen können.
    Seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit, wie es seit Raiford so oft geschehen war. Er erinnerte sich an seinen Best Pal, seinen besten Kumpel. Er erinnerte sich an den pechschwarzen Wandschrank, in den nur unter der Tür herein we nig Licht fiel. Er kauerte sich in die Nähe des Lichts, in die Nähe der Luft über dem Boden. Er konnte seine Füße sehen, die auf ihn
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