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Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet
Autoren: Michael Connelly
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war ein Mann mit dunklem Teint und kahl geschorenem Kopf. Ich vermutete, dass eine Waage ungefähr 150 Kilo anzeigen würde, wenn er sich daraufstellte. Ich ergriff seine ausgestreckte Hand und lächelte. Er war seit sechs Jahren einer meiner Informanten. Damals war ich ein kleiner Polizeireporter gewesen und er Sergeant im Streifendienst. Seither waren wir beide die Leiter hinaufgestiegen.
    »Jack, wie geht es Ihnen? Sie sagten, Sie sind gerade zurückgekommen?«
    »Ja, es hat eine Weile gedauert. Aber jetzt geht es mir wieder besser.«
    Er erwähnte meinen Bruder nicht. Er war einer der wenigen Polizisten bei der Beerdigung gewesen, und das bewies seine Empfindungen mehr als Worte. Er setzte sich wieder, und ich ließ mich auf einem der Stühle vor seinem Schreibtisch nieder.
    Grolon hatte nicht viel für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in der Stadt getan. Er saß in der Wirtschaftsabteilung der Polizei von Denver und war für das jährliche Budget verantwortlich, für Einstellungen und Ausbildung. Und auch für Entlassungen. Das alles hatte mit Polizeiarbeit wenig zu tun, aber es gehörte zu seinem Plan. Grolon wollte eines Tages Polizeichef werden und sammelte ein breites Spektrum von Erfahrungen, damit er, wenn die Zeit gekommen war, den besten Eindruck für diesen Job machen würde. Zu seinem Plan gehörte auch, dass er Verbindung zu den lokalen Medien hielt. Wenn es so weit war, würde er sich darauf verlassen, dass ich in der Rocky einen positiven Artikel über ihn brachte. Und den würde ich auch schreiben. Bis dahin konnte ich mich darauf verlassen, dass er auch für mich einiges tat.
    »Also, wofür muss ich heute auf meinen Lunch verzichten?«, fragte er mürrisch, was zu der Show gehörte, die wir immer abzogen. Ich wusste, dass Grolon es vorzog, mich zur Mittagszeit zu treffen, wenn sein Assistent zum Essen gegangen und weniger damit zu rechnen war, dass er mit mir zusammen gesehen wurde.
    »Sie müssen nicht auf Ihren Lunch verzichten. Sie bekommen Ihr Essen nur ein bisschen später. Ich möchte die Akte über meinen Bruder sehen. Scalari sagte, sie sei bereits zum Verfilmen ins Archiv geschickt worden. Ich dachte, Sie könnten sie vielleicht dort rausholen und mich ganz kurz hineinsehen lassen.«
    »Weshalb, Jack? Weshalb wollen Sie schlafende Hunde wecken?«
    »Ich muss die Akte sehen, Captain. Ich habe nicht vor, irgendetwas daraus zu zitieren. Ich möchte nur einen Blick hineinwerfen. Holen Sie sie gleich, und ich bin damit fertig, noch bevor die Mikrofilm-Leute vom Lunch zurückkommen. Niemand wird etwas davon erfahren. Nur Sie und ich. Und ich werde es nicht vergessen.«
    Zehn Minuten später händigte Grolon mir die Akte aus. Sie war so dünn wie das Telefonbuch für die ganzjährigen Bewohner von Aspen. Ich weiß nicht, weshalb, aber ich hatte etwas Dickeres, Schwereres erwartet, als müsse zwischen der Dicke der Ermittlungsakte und der Gewichtigkeit des darin behandelten Todes ein Zusammenhang bestehen.
    Zuoberst lag ein Umschlag mit der Aufschrift FOTOS, den ich ungeöffnet beiseitelegte. Danach kamen ein Autopsiebe richt und mehrere mit einer Büroklammer zusammengeheftete Standardberichte.
    Ich hatte oft genug Autopsieberichte studiert, um zu wissen, dass ich die Seiten mit den endlosen Beschreibungen von Drüsen, Organen und den Allgemeinzustand des Körpers außer Acht lassen und mich gleich den letzten Seiten zuwenden konnte, auf denen die Zusammenfassung stand. Dort gab es keine Überraschungen. Todesursache war eine Schusswunde im Kopf. Darunter war das Wort Selbstmord eingekreist. Blutuntersuchungen auf gebräuchliche Drogen hin hatten Spuren von Dextromethorphan-Hydrobromid ergeben. Darunter hatte ein Labortechniker notiert: >Hustensaft, Handschuhfachs Das bedeutete, dass mein Bruder, abgesehen von einem Schluck Hustensaft aus einer im Wagen befindlichen Flasche, stocknüchtern gewesen war, als er sich den Lauf seiner Waffe in den Mund gesteckt hatte.
    Die gerichtsmedizinische Analyse enthielt auch einen Bericht mit der Überschrift GSR, was, wie ich wusste, Gunshot Residue - Schießpulver-Rückstände - bedeutete. Darin hieß es, dass bei einer Neutronen-Aktivierungs-Analyse der von dem Opfer getragenen Lederhandschuhe am rechten Handschuh Partikel von verbranntem Schießpulver gefunden worden waren, was darauf hindeutete, dass er diese Hand zum Abfeuern der Waffe benutzt hatte. Auch in der Kehle des Opfers waren Pulverrückstände und Gasverbrennungen gefunden worden.
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