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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker
Autoren: Mario Livio
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eine höchst motivierte Gruppe von Schülern und Anhängern um ihn versammelte.
    Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (ca. 485–425 v. Chr.) bezeichnet Pythagoras als den «vortrefflichsten Philosophen unter den Griechen», und der vorsokratische Dichter und Philosoph Empedokles (ca. 492–432 v. Chr.) fügte voll Bewunderung hinzu: «Doch es lebte unter jenen ein Mann von übermenschlichem Wissen, der anerkannt den größten Geistesreichtum besaß und mannigfacher Künste mächtig war. Denn sobald er nur mit allen seinen Geisteskräften sich reckte, schaute er leicht in seinen zehn und zwanzig Menschenleben jedes einzelne Ding in der ganzen Welt.»
    Doch nicht alle waren in gleicher Weise beeindruckt. In Kommentaren, in denen möglicherweise eine gewisse persönliche Rivalität durchscheint, attestiert der Philosoph Heraklit von Ephesos (ca. 535–475 v. Chr.) Pythagoras zwar ein ungemein breites Wissen, fügt abergleich darauf verächtlich hinzu: «Viel Lernen lehrt noch keine Weisheit, anderenfalls hätte es Hesiod [einen griechischen Dichter, der um 700 v. Chr. gelebt hat] und Pythagoras weise gemacht.»
    Pythagoras und die frühen Pythagoreer waren weder Mathematiker noch Wissenschaftler im strengen Sinne. Kern ihrer Lehren war vielmehr eine metaphysische Philosophie der Zahlen und ihrer Bedeutung. Für die Pythagoreer waren Zahlen lebendige Entitäten und universell gültige Prinzipien zugleich, die von den himmlischen Sphären bis zur menschlichen Ethik alles durchdrangen. Mit anderen Worten: Zahlen wurden zwei verschiedene, einander ergänzende Aspekte zugeschrieben. Auf der einen Seite verfügten sie über eine greifbare physische Existenz, auf der anderen waren sie abstrakte Konzepte, auf die sich alles andere gründete. Die Zahl 1 zum Beispiel – die
Monas
–wurde zum einen als Grundlage für alle anderen Zahlen betrachtet, als Entität, so real wie Wasser, Luft und Feuer, die an der Struktur der physikalischen Welt teilhatte, zum anderen als Idee – die metaphysische Einheit im Ursprung aller Schöpfung. Der englische Gelehrte der Philosophiegeschichte Thomas Stanley (1625–1678) beschrieb die beiden Bedeutungen, die die Pythagoreer Zahlen beimaßen, in wunderbarer Weise (wenn auch im Englisch des 17. Jahrhunderts):
    Die Zahl ist zwiefach in ihrem Wesen, geistig (oder nichtmateriell) und wissenschaftlich. Das Geistige ist das ewige Wesen der Zahl, welches Pythagoras in seinen Ausführungen über die Götter als
das glücklichste Prinzip des Himmels und der Erde sowie der Natur zwischen beiden
erkannte … es ist das, was man
das Prinzip, den Urquell und die Wurzel aller Dinge
nennt … Wissenschaftlich an der Zahl ist das, was Pythagoras
die Ausdehnung und das Hervorbringen jener fruchtbaren Beweggründe
nennt,
die der Monas oder deren viele eigen sind.
    Zahlen wurden demnach nicht einfach nur als Mittel gesehen, um die Menge oder Anzahl von irgendetwas zu notieren, vielmehr galt es, sie zu entdecken, und man betrachtete sie als formende Prinzipien, die in der Natur wirkten. Alles im Universum – angefangen von materiellen Gegenständen wie der Erde bis hin zu abstrakten Konzepten wie Gerechtigkeit – war durch und durch Zahl.
    Die Tatsache, dass jemand Zahlen aus sich heraus faszinierend findet, ist vielleicht nicht ganz so überraschend. Schließlich haben selbst die gewöhnlichen Zahlen, mit denen wir es im täglichen Leben zu tun haben, ein paar höchst interessante Eigenschaften. Betrachten Sie einmal die Anzahl der Tage in einem Jahr – 365. Sie können leicht nachprüfen, dass 365 die Summe aus drei aufeinanderfolgenden Quadratzahlen ist: 365 = 10 2 + 11 2 + 12 2 . Aber das ist noch nicht alles, 365 ist auch die Summe der beiden nächsten Quadratzahlen (365 = 13 2 + 14 2 )! Oder betrachten Sie die Tage des mittleren Mondmonats: 28. Diese Zahl ist die Summe all ihrer Divisoren oder Teiler (der Zahlen, durch die sie ohne Rest teilbar ist): 28 = 1 + 2 + 4 + 7 + 14. Zahlen mit dieser besonderen Eigenschaft werden als
vollkommene
oder
perfekte Zahlen
bezeichnet (die ersten vollkommenen Zahlen sind 6, 28, 496, 8218). Man beachte auch, dass 28 die Summe der dritten Potenz der beiden ersten ungeraden Zahlen ist: 28 = 1 3 + 3 3 . Selbst eine Zahl, die in unserem Dezimalsystem so weidlich zur Anwendung gelangt wie die 100, hat ihre eigenen Besonderheiten: 100 = 1
    Also gut, Zahlen können eine gewisse Faszination ausüben. Dennoch mag man sich fragen, wo die pythagoreische
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