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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker
Autoren: Mario Livio
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normalerweise als physikalische Realität betrachten. Real vorhandene Blumen, Aspirin-Tabletten, weiße Wolken und Düsenflugzeuge haben ihren Platz in dieser Welt, dazu Galaxien, Planeten, Atome, Pavianherzen und menschliche Gehirne. Die platonische Welt der mathematischen Formen, die nach Penrose eine eigene, der physikalischen und mentalen Welt vergleichbare Realität besitzt, ist das Mutterland der Mathematik. Sie ist der Ort, an dem Sie die natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, … antreffen, dazu all die Formen und Lehrsätze der euklidischen Geometrie, Newtons Bewegungsgesetze, die String- und die Katastrophentheorie sowie mathematische Modelle zur Beschreibung des Aktienmarktverhaltens. Und nun, so Penrose, kommen die drei Mysterien: Erstens: Die physikalische Welt scheint Gesetzen zu gehorchen, die eigentlich in der Welt der mathematischen Formen beheimatet sind. Das deckt sich mit dem, was schon Einstein so erstaunt hatte. Der Nobelpreisträger für Physik Eugene Wigner (1902–1995) war darüber nicht minder verblüfft:
    Dass die mathematische Sprache in so wunderbarer Weise zur Formulierung von Gesetzen der Physik taugt, ist ein wunderbares Geschenk, das wir weder verstehen noch verdienen. Wir sollten dankbar dafür sein und hoffen, dass es uns auch für künftige Forschungen erhalten bleibt und dass es sich – auf Gedeih und Verderb, zu unserer Freude, ja, vielleicht auch zu unserem Erstaunen – auf viele Zweige des Lernens ausweiten wird.
    Zweitens, das wahrnehmende Ich selbst – unser Geist, Sitz unserer bewussten Wahrnehmungen – hat es irgendwie fertiggebracht, der physikalischen Welt zu entfliehen. Wie entstand der
Geist
wirklich aus
Materie?
Ob wir je in der Lage sein werden, eine Theorie der Funktionsweise von Bewusstsein zu entwickeln, die so schlüssig und überzeugendist wie, sagen wir, unsere gegenwärtige Theorie des Elektromagnetismus? Am Ende schließt sich der Kreis auf wundersame Weise, denn das wahrnehmende Bewusstsein ist aus geheimnisvollen Gründen imstande, Zugang zur mathematischen Welt zu erlangen, indem es einen Schatz an abstrakten mathematischen Formen und Konzepten entdeckt oder schafft und formuliert.
    Penrose bietet für keines der drei Mysterien eine Erklärung, sondern stellt vielmehr lakonisch fest: «Es besteht kein Zweifel, dass es nicht drei Welten gibt, sondern nur
eine,
deren wahrhafte Beschaffenheit wir jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal erahnen können.» Ein Zugeständnis übrigens, das von deutlich mehr Bescheidenheit zeugt als die Antwort des Lehrers in Alan Bennetts Theaterstück
Forty Years On
auf eine ziemlich ähnliche Frage:
    Foster: Ich habe immer noch eine etwas vage Vorstellung von der Dreifaltigkeit.
    Lehrer: Drei in eins, eins in drei, ganz einfach. Wenn Sie irgendwelche Probleme damit haben, fragen Sie Ihren Mathelehrer.
    Das Rätsel ist sogar noch ein bisschen vertrackter, als ich es eben dargestellt habe. Der große Erfolg der Mathematik bei der Erklärung der Welt um uns herum (ein Erfolg, den Wigner als geradezu «unbegreifliche Effizienz oder Erklärungsmacht der Mathematik» bezeichnet hatte) hat genau genommen zwei Seiten, eine erstaunlicher als die andere. Zuerst ist da ein Aspekt, den man als «den aktiven» bezeichnen könnte. Wenn Physiker durch das schummrige Labyrinth der Natur streifen, leuchten sie ihren Weg mit Hilfe der Mathematik aus – die Instrumente, die sie entwickeln und verwenden, die Modelle, die sie konstruieren, und die Erklärungen, die sie ersinnen, sie alle sind ihrem Wesen nach mathematischer Natur. Das ist offenkundig bereits ein Wunder für sich. Newton betrachtete einen fallenden Apfel, den Mond und die Gezeiten am Strand (bei denen ich mir übrigens nicht ganz sicher bin, dass er sie überhaupt zu sehen bekommen hat!) – keine Spur von mathematischen Gleichungen –, und trotzdem war er irgendwie imstande, aus all diesen natürlichen Phänomenen klare, schlüssige und unglaublich genaue mathematische Gesetze für dasWirken der Natur herzuleiten. Ganz ähnlich brauchte der schottische Physiker James Clark Maxwell (1831–1879) nur vier mathematische Gleichungen, als er das System der klassischen Physik auf
alle
in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts bekannten elektrischen und magnetischen Phänomene ausweitete. Lassen Sie sich das einen Augenblick lang auf der Zunge zergehen. Die Erklärung einer langen Reihe von Versuchsergebnissen zu Licht und Elektromagnetismus, die zu beschreiben zuvor Bände in
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