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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker
Autoren: Mario Livio
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bevor der Preis verliehen wurde). Die Schlüsselgleichung in dem Modell macht es möglich zu verstehen, wie Aktienoptionen zu bewerten sind (Optionen sind Finanzinstrumente, die es dem Bieter ermöglichen, an einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft Aktien zu einem vorher ausgemachten Preis zu erstehen). Hier aber kommt die große Überraschung: Kern dieses Modells ist ein von Physikern bereits seit Jahrzehnten untersuchtes Phänomen – die Brown’sche Molekularbewegung, die Wärmebewegung kleinster Teilchen wie in Wasser treibenden Pollen oder Rauchpartikeln in der Luft. Als sei das noch nicht genug, gilt dieselbe Gleichung auch für ein paar hunderttausend Sterne in Sternenhaufen. Ist das nicht wirklich, um es mit den Worten von
Alice im Wunderland
zu sagen, «merkwürdiger und merkwürdiger»? Was immer der Kosmos schließlich tun mag, Wirtschaft und Finanzen sind definitiv Welten, die vom Menschen ersonnen wurden.
    Oder nehmen Sie ein geläufiges Problem, mit dem sich die Hersteller von Microchips und Computerdesigner herumschlagen müssen. Sie verwenden Laserbohrer, um Zehntausende von Löchern in ihre Platinen zu stanzen. Um die Kosten dafür gering zu halten, wollen sie verhindern, dass ihre Bohrer wie «bummelnde Touristen» umherirren. Das Problem besteht folglich darin, die kürzeste «Tour» zwischen den Löchern zu finden, das heißt, jede einzelne Lochposition genau einmal anzusteuern. Zufällig hat sich die Mathematik mit ebendiesem Problem – berühmt geworden unter dem Namen
Problem des Handlungsreisenden –
bereits seit den 1920er Jahren auseinandergesetzt. Im Prinzip geht es darum, dass ein Handlungsreisender oder ein Politiker auf Wahlkampftour in möglichst ökonomischer Weise eine bestimmte Anzahl von Städten erreichen muss, wobei die Kosten der Fahrt zwischen zwei Städten bekannt sind und der Reisende irgendwie die billigste Möglichkeit herausfinden muss, alle Orte anzufahren und zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren. Das Problem desHandlungsreisenden wurde 1954 für 49 Städte in den Vereinigten Staaten gelöst. Im Jahr 2004 wurde eine Lösung für 24.978 Orte in Schweden vorgelegt. Mit anderen Worten: Die Elektronikindustrie, Firmen, die Lastwagen auf die Reise schicken, um Päckchen abholen und ausliefern zu lassen, ja sogar die Hersteller von japanischen Glücksspielautomaten – den Pachinko-Automaten, bei denen Tausende Nägel eingeschlagen werden müssen – verlassen sich bei so simplen Dingen wie dem Bohren, der Erstellung von Zeitplänen oder dem physikalischen Design von Computern auf die Mathematik.
    Die Mathematik ist sogar in Gebiete vorgedrungen, die traditionellerweise nicht mit den Naturwissenschaften assoziiert werden. So gibt es beispielsweise ein
Journal of Mathematical Sociology
(im Jahr 2006 immerhin bei Band 30 angelangt), das sich mit der mathematischen Beschreibung komplexer soziologischer Strukturen, Organisationen und sogenannter informeller Gruppen befasst. Die Artikel dieser Zeitschrift behandeln Themen, die von einem mathematischen Modell für die Vorhersage der öffentlichen Meinung bis hin zu Prognosen über die Interaktion in sozialen Gruppierungen reichen.
    Den Bogen in diese Richtung – von der Mathematik zu den Geisteswissenschaften – weiter gespannt, kommen wir zum Feld der Computerlinguistik, das ursprünglich allein von Computerspezialisten und Informatikern beackert wurde und nun zu einem interdisziplinären Forschungsgebiet geworden ist, das Linguisten, kognitive Psychologen, Logiker und Experten für künstliche Intelligenz vereint, um den Feinheiten von natürlichen Sprachen auf die Spur zu kommen.
    Ist es ein gemeiner Schabernack, der mit uns getrieben wird und dank dessen alles menschliche Ringen um Verstehen und Begreifen letztlich nur dazu führt, dass wir nach und nach immer verzwicktere Ebenen einer Mathematik aufdecken, auf deren Fundament das Universum und wir, seine komplexen Geschöpfe, entstanden sind? Ist die Mathematik, wie die Lehrer gerne sagen, das geheime Lehrbuch – eines, aus dem der Professor lehrt –, während den Studenten eine sehr viel simplere Version an die Hand gegeben wird, damit der Lehrende immer als der Klügere dasteht? Oder, um die biblische Metapher zu verwenden, ist die Mathematik so etwas wie die Frucht der Früchte vom Baum der Erkenntnis?
    Wie ich zu Beginn des Kapitels kurz angemerkt hatte, wirft die aberwitzige Wirkmächtigkeit der Mathematik viele faszinierende Rätsel auf: Führt also die
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