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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker
Autoren: Mario Livio
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Mathematik ein Dasein, das vom menschlichen Geist ganz und gar unabhängig ist? Mit anderen Worten:
Entdecken
wir mathematische Wahrheiten nur, so wie Astronomen bis dahin unbekannte Galaxien entdecken? Oder ist die Mathematik nichts weiter als eine menschliche
Erfindung?
Falls die Mathematik tatsächlich in einem fernen Märchenland beheimatet ist, wie sieht dann die Beziehung zwischen dieser mystischen Welt und der physikalischen Realität aus? Wie verschafft sich das menschliche Gehirn mit den ihm eigenen bekannten Einschränkungen Zugang zu einer solch ewigen, unveränderbaren Welt außerhalb von Raum und Zeit? Ist aber andererseits die Mathematik nichts weiter als eine menschliche Erfindung, verfügt sie also nicht über ein unabhängiges Dasein außerhalb unseres Geistes – wie lässt sich dann die Tatsache erklären, dass in so vielen Fällen das Formulieren von mathematischen Wahrheiten auf wundersame Weise Fragen über den Kosmos und das menschliche Leben vorwegnimmt, die erst viele Jahrhunderte später gestellt werden? Das sind keine trivialen Fragen. Wie wir in diesem Buch wieder und wieder sehen werden, sind sich selbst Mathematiker, Kognitionswissenschaftler und Philosophen unserer Tage über die Antwort nicht einig. Im Jahr 1989 verlieh der französische Mathematiker Alain Connes, Gewinner der beiden prestigeträchtigsten Preise auf dem Gebiet der Mathematik – der Fields-Medaille (1982) und des Crafoord-Preises (2001) –, seiner Sicht der Dinge in deutlichen Worten Ausdruck:
    Nehmen Sie zum Beispiel die Primzahlen [solche, die nur durch eins und sich selbst teilbar sind], die, wie ich finde, eine stabilere Wirklichkeit darstellen als die materielle Welt, die uns umgibt. Der Mathematiker bei der Arbeit lässt sich mit einem Forscher vergleichen, der sich aufmacht, die Welt zu erkunden. Man entdeckt grundlegende Tatsachen durch Erfahren. Wenn man zum Beispiel ein paar einfache Rechnungen durchführt, wird einem klar, dass die Reihe der Primzahlen offenbar endlos weitergeht. Aufgabe des Mathematikers ist es somit zu beweisen, dass die Menge an Primzahlen unendlich ist. Dank Euklid ist dies natürlich eine alte Erkenntnis. Eine der interessantesten Konsequenzen aus seinem Beweis ist der Umstand, dass es,sollte jemand eines schönen Tages behaupten, er habe die größte aller Primzahlen entdeckt, sehr leicht sein wird, ihn zu widerlegen. Dasselbe gilt für jeden Beweis. Wir rennen daher gegen eine Wirklichkeit an, die jeden Zoll so unanfechtbar ist wie die physikalische Realität.
    Martin Gardner, berühmter Autor zahlreicher Texte zur Freizeitmathematik, rechnet sich ebenfalls zum Lager derjenigen, die die Mathematik als
Entdeckung
betrachten. Für ihn steht außer Frage, dass Zahlen und die Mathematik ihr eigenes Dasein führen, ob die Menschen nun von ihnen wissen oder nicht. Er hat dazu einmal scherzhaft bemerkt: «Wenn zwei Dinosaurier auf einer Lichtung auf zwei andere Dinosaurier treffen, dann sind da vier Dinosaurier, auch wenn ihnen keine Menschen zuschauen, die dies feststellen könnten, und die Biester zu blöde sind, um das zu wissen.» Wie Connes betont, sind die Vertreter des Paradigmas von der Mathematik als Entdeckung (das, wie wir sehen werden, der platonischen Weltsicht verpflichtet ist) der Ansicht, dass wir es, sobald uns ein bestimmtes mathematisches Konzept – sagen wir das der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, … – einmal aufgegangen ist, auf der Stelle mit unbestreitbaren Fakten zu tun bekommen – beispielsweise 3 2 + 4 2 = 5 2 , völlig unabhängig davon, was wir von diesen Relationen halten. Das vermittelt, wie er findet, zumindest sehr den Eindruck, als stünden wir in Kontakt mit einer existierenden Realität.
    Andere sind da anderer Ansicht. Bei der Rezension eines Buches, in dem Connes seine Ideen darlegte, bemerkte der britische Mathematiker Sir Michael Atiyah (im Jahr 1966 Gewinner der Fields-Medaille und im Jahr 2004 des Abelpreises):
    Jeder Mathematiker muss Verständnis für Connes haben. Wir alle haben das Gefühl, dass die ganzen Zahlen oder Kreise tatsächlich in einem abstrakten Sinne existieren und dass die platonische Sicht [die in Kapitel 2 im Einzelnen dargelegt werden soll] etwas äußerst Verführerisches hat. Aber können wir dem wirklich beipflichten? Wäre das Universum eindimensional oder gar diskret, ist schwer zu verstehen, wie sich eine Geometrie hätte entwickeln sollen. Es mag so aussehen, als befänden wir uns mit den ganzen Zahlen auf
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