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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker
Autoren: Mario Livio
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Universums würde erklären lassen, gab es einige wenige, die turmhoch über den Rest der Menschheit hinausragten.
    Für viele ist der Name des französischen Mathematikers, Wissenschaftlers und Philosophen René Descartes (1596–1650) gleichbedeutend mit dem Anbruch der Moderne auf dem Gebiet der Philosophie. Descartes war einer der Hauptarchitekten der Verlagerung von einer bloßen Beschreibung der natürlichen Welt in all ihren Eigenschaften, wie wir sie mit unseren Sinnen unmittelbar wahrnehmen, hin zu Erklärungen, die sich durch mathematisch wohldefinierte Quantitäten ausdrücken lassen. Statt sich darauf zu beschränken, vage charakterisierte Gefühle, Gerüche, Farben und Empfindungen zu Protokoll zu geben, war Descartes darauf aus, mit seinen wissenschaftlichen Erklärungen bis hinunter auf die unterste Mikroebene vorzudringen, und er bediente sich dabei der Sprache der Mathematik:
    Denn völlig frei bekenne ich, daß ich keine andere Materie der körperlichen Dinge zugestehe, als jene in jeder Weise teilbare, formbare und bewegliche, die die Geometer Quantität nennen und die sie als Gegenstand ihren Beweisen zugrunde legen … Und weil auf diese Weise alle Naturphänomene erklärt werden können, wie im Folgenden deutlich werden wird, glaube ich, daß keine anderen Prinzipien der Physik zugestanden werden dürfen und auch keine anderen zu wünschen sind.
    Interessanterweise klammerte Descartes aus seiner großen wissenschaftlichen Vision die Bereiche «Denken und Geist» aus, weil er sie als unabhängig von der mathematisch erklärbaren Welt der Materie erachtete. Obschon kein Zweifel daran besteht, dass Descartes einer der einflussreichsten Denker der vergangenen vier Jahrhunderte gewesen ist (ich werde in Kapitel 4 auf ihn zurückkommen), so war er doch nicht der Erste, der die Mathematik auf eine zentrale Position erhoben hat. Ob Sie es glauben oder nicht, die radikale Vorstellung von einem von mathematischen Prinzipien durchdrungenen und gesteuerten Kosmos – eine Vorstellung, die in gewissem Sinne sogar weiter ging als die von Descartes – war erstmals (wenn auch mit stark mystischem Beigeschmack) über zweitausend Jahre zuvor geäußert worden. Die Person, der die Legende die Aussage zuschreibt, die menschliche Seele empfinde Musik, wenn sie sich mit der reinen Mathematik befasse, war der große, geheimnisumwitterte Pythagoras.
Pythagoras
    Pythagoras (ca. 572–497 v. Chr.) war womöglich der erste Mensch, der beides war – einflussreicher Naturphilosoph und charismatischer spiritueller Philosoph zugleich, Wissenschaftler und religiöser Denker. Ja, er gilt als derjenige, der die Begriffe «Philosophie» – wörtlich: die Liebe zur Weisheit – und «Mathematik» – die Kunst des Lernens – eingeführt hat. Auch wenn keine der Schriften des Pythagoras erhalten geblieben ist (wenn es sie denn je gegeben hat, vieles wurde seinerzeit mündlich weitergegeben), verfügen wir über drei sehr ausführliche, wenngleich nur teilweise verlässliche Biographien seiner Person ausdem 3. Jahrhundert. Eine vierte, anonyme, ist in den Schriften des byzantinischen Patriarchen und Philosophen Photius (ca. 820–891) erhalten. Das Hauptproblem bei dem Versuch, Pythagoras’ persönlichen Beitrag einzuschätzen, liegt darin, dass seine Anhänger und Schüler – die Pythagoreer – all ihre Ideen unweigerlich ihm zuschrieben. Infolgedessen fand sogar Aristoteles (384–322 v. Chr.) es schwierig zu sagen, welcher Teil der pythagoreischen Philosophie einigermaßen sicher Pythagoras selbst zugeschrieben werden kann, und so nimmt er in der Regel eher allgemein Bezug auf «die Pythagoreer» oder die «sogenannten Pythagoreer». Dessen ungeachtet wird in Anbetracht des großen Ruhmes des Pythagoras in der nachfolgenden Tradition gemeinhin davon ausgegangen, dass er der Urheber zumindest einiger der pythagoreischen Theorien gewesen sein muss, denen sich Platon und sogar Kopernikus so verpflichtet gefühlt haben.
    Es bestehen kaum Zweifel, dass Pythagoras zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. auf der Insel Samos, unmittelbar vor der Küste der heutigen Türkei, geboren wurde. Er war möglicherweise bereits in jungen Jahren weit gereist, vor allem nach Ägypten und vielleicht auch nach Babylon, wo ihm zumindest ein Teil seiner mathematischen Bildung zuteilgeworden sein dürfte. Schlussendlich emigrierte er in eine kleine griechische Kolonie in Kroton (heute Crotone) unweit der Südspitze Italiens, wo sich rasch
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