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Ismael

Ismael

Titel: Ismael
Autoren: Daniel Quinn
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sieht so aus ... Der Evolution wohnt doch eine Art Tendenz inne, oder? Wenn man mit den primitiven Lebewesen in den Urmeeren anfängt und dann Schritt für Schritt zu dem fortschreitet, was heute lebt - und noch weiter -, bemerkt man eine Tendenz zu ... zu größerer Komplexität, und zu Selbstbewußtsein und Intelligenz. Einverstanden?«
    »Ja.«
    »Das heißt, eine ganze Menge Lebewesen scheint in ihrer Entwicklung kurz vor diesem Selbstbewußtsein und dieser Intelligenz zu stehen. Die Götter haben also bestimmt nicht nur auf den Menschen gesetzt. Wir sollten nie die einzigen Spieler auf dieser Bühne sein. Offensichtlich wollten die Götter die Erde zu einem Garten voller intelligenter und selbstbewußter Wesen machen.«
    »So sieht es tatsächlich aus. Und wenn es so ist, liegt die Bestimmung des Menschen eigentlich auf der Hand.«
    »Erstaunlicherweise ja - der Mensch ist das erste selbstbewußte und intelligente Wesen. Er ist der Pionier, der Pfadfinder. Sein Schicksal ist es, als erster zu erfahren, daß Geschöpfe wie der Mensch die Wahl haben: Sie können gegen die Götter arbeiten und dabei umkommen - oder aber zur Seite treten und Platz für den Rest der Schöpfung machen. Aber das ist noch nicht alles. Der Mensch ist dazu bestimmt, der Stammvater der anderen zu sein - ich meine nicht im Sinn direkter Nachkommenschaft. Indem er den anderen eine Chance gibt - den Walen, Delphinen, Schimpansen und Waschbären - wird er gewissermaßen ihr Vorläufer ... Und eigenartig, das ist eine noch großartigere Bestimmung, als die Nehmer es sich erträumen.«
    »Inwiefern?«
    »Überlege doch. Lebewesen, die in einer Milliarde Jahren leben, werden sagen: >Der Mensch? Ach ja, der Mensch! Was für ein wunderbares Geschöpf er war! Er hätte die ganze Welt und mit ihr unsere Zukunft zerstören können - aber er sah das Licht, bevor es zu spät war, und hielt inne. Er hielt inne und gab uns anderen eine Chance. Er zeigte uns, wie man es anstellen muß, wenn die Welt ewig ein Garten bleiben soll. Der Mensch ist unser aller Vorbild!<«
    »Kein zu verachtendes Schicksal.«
    »Nein, auf keinen Fall. Und jetzt merke ich, daß das ...«
    »Ja?«
    »Daß das der Geschichte eine gewisse Form gibt. Die Welt ist etwas Wunderbares. Sie war kein Chaos, das vom Menschen erobert und geordnet werden mußte. Anders gesagt, es ist nicht notwendig, daß sie dem Menschen gehört - aber es ist notwendig, daß der Mensch zu ihr dazugehört. Ein Geschöpf mußte zum ersten Mal feststellen, daß es diese beiden Bäume im Garten gab, einen für die Götter und einen für die Geschöpfe der Erde. Ein Geschöpf mußte den Anfang machen, und dann, dann ... dann war alles möglich. Anders gesagt, der Mensch hat einen Platz in der Welt, aber nicht den des Herrschers. Die Herrscher sind die Götter. Die Bestimmung des Menschen ist es, der erste zu sein. Der erste, aber nicht zugleich der letzte. Diese Erfahrung ist ihm bestimmt - und dann soll er den anderen Geschöpfen Platz machen, damit sie werden können, was er geworden ist. Und vielleicht kommt einmal die Zeit, in der der Mensch der Lehrer der anderen Geschöpfe sein wird. Nicht der einzige Lehrer und auch nicht der letzte, vielleicht nur der erste Lehrer, der Lehrer im Kindergarten - aber selbst das wäre kein zu verachtendes Schicksal. Und weißt du was?«
    »Was?«
    »Ich habe die ganze Zeit gedacht: >Das ist ja alles sehr interessant, aber was soll das? Ändern wird sich ja doch nichts.<«
    »Und jetzt?«
    »Genau so eine Geschichte brauchen wir. Wir dürfen nicht immer nur davon reden, daß alles so falsch ist. Daß wir uns einschränken müssen. Die Menschen brauchen ein positives Ziel, auf das sie zuarbeiten können. Sie brauchen die Vision von etwas, das ... Ich weiß nicht. Etwas, das ...«
    »Du meinst wahrscheinlich, daß man die Menschen nicht nur ausschimpfen darf, bis sie sich dumm und schuldig Vorkommen. Sie brauchen mehr als eine Weltuntergangsvision. Sie brauchen eine Vision von der Welt und sich selbst, die sie inspiriert, die ihnen Hoffnung macht.«
    »Genau das. Die Umweltverschmutzung zu verringern, inspiriert nicht. Den Müll zu sortieren, inspiriert nicht. Den Gebrauch von Fluorkohlenwasserstoffen zu verbieten, inspiriert nicht. Aber das ... diese neue Vorstellung von uns selber und der Welt... das ...«
    Ich brach ab. Verdammt noch mal, Ismael wußte ja, was ich sagen wollte.
    7
    »Du verstehst jetzt sicher, was ich ganz am Anfang gesagt habe. Die Geschichte, die die
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