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Ismael

Ismael

Titel: Ismael
Autoren: Daniel Quinn
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Schimpansen, des Orang-Utans oder des Gorillas - überhaupt keine Nachfolger jetzt lebender Geschöpfe. Alles wird mit uns zu Ende sein. Die Nehmer müssen die Schöpfung beenden, um ihre Geschichte wahr zu machen - und leider sind sie auf dem besten Weg dazu.«
    4
    »Als ich dir am Beginn unseres Gespräches half, die Prämisse zu finden, auf der die Geschichte der Nehmer aufbaut, sagte ich, daß die Geschichte der Lasser auf einer ganz anderen Prämisse aufbaut.«
    »Ja.«
    »Vielleicht kannst du diese Prämisse jetzt formulieren.«
    »Ich glaube nicht. Im Augenblick fällt mir nicht einmal die Prämisse der Geschichte der Nehmer ein.«
    »Sie wird dir wieder einfallen. Jede Geschichte ist die Weiterentwicklung einer solchen Prämisse.«
    »Ja, gut. Die Prämisse der Geschichte der Nehmer war, daß die Welt dem Menschen gehört.« Ich überlegte einige Augenblicke, dann lachte ich. »Es klingt fast zu einfach, aber die Prämisse der Geschichte der Lasser ist, daß umgekehrt der Mensch zur Welt dazugehört.«
    »Was bedeutet?«
    »Was bedeutet ...« Ich lachte laut. »Das ist wirklich zuviel.«
    »Weiter.«
    »Es bedeutet, daß jedes Geschöpf seit der Entstehung des Lebens zur Welt dazugehört und notwendiger Teil eines Ganzen ist - und daß so die Welt entstanden ist. Die Einzeller, die in den Urmeeren schwammen, gehörten dazu, und weil das so war, konnte sich alles folgende Leben entwickeln. Die Quastenflosser an den Küsten der Kontinente gehörten dazu, und deshalb entwickelten sich die Lurche. Und weil die Lurche dazugehörten, entwickelten sich die Reptilien. Und weil die Reptilien dazugehörten, entwickelten sich die Säugetiere. Und weil die Säugetiere dazugehörten, entwickelten sich die Primaten. Und weil die Primaten dazugehörten, entwickelte sich der Australopithecus. Und weil der Australopithecus dazugehörte, entwickelte sich der Mensch. Und drei Millionen Jahre lang gehörte auch der Mensch dazu - und weil das so war, wuchs er und entwickelte sich, wurde intelligenter und geschickter, bis er eines Tages so klug und geschickt war, daß man ihn Homo sapiens sapiens nennen mußte, was heißt, daß er war wie wir.«
    »Und so haben die Lasser drei Millionen Jahre gelebt - als Teil eines größeren Ganzen.«
    »Richtig. Und so ist der Mensch entstanden.«
    5
    »Wir wissen, was passiert, wenn wir von der Prämisse der Nehmer ausgehen, daß die Welt dem Menschen gehört«, sagte Ismael.
    »Ja, eine Katastrophe.«
    »Und was passiert, wenn wir von der Prämisse der Lasser ausgehen, daß der Mensch ein Teil der Schöpfung ist?«
    »Dann geht die Schöpfung ewig weiter.«
    »Und was hältst du davon?«
    »Ich bin voll dafür.«
    6
    »Da fällt mir etwas ein«, sagte ich.
    »Ja?«
    »Mir fällt ein, daß die Geschichte, die ich gerade erzählt habe, die Geschichte ist, die die Lasser seit drei Millionen Jahren auf der Welt aufführen. Die Geschichte der Nehmer geht so: Die Götter haben die Welt für den Menschen erschaffen, aber sie haben gepfuscht, deshalb mußten wir die Sache selbst in die Hand nehmen, weil wir klüger sind. Die Geschichte der Lasser geht so: Die Götter haben den Menschen in die Welt gesetzt, wie sie den Lachs, den Spatzen und das Kaninchen in die Welt gesetzt haben; das hat bisher eigentlich gut funktioniert, deshalb brauchen wir uns keine Sorgen zu machen und können die Geschicke der Welt ruhig den Göttern überlassen.«
    »Richtig. Man kann die Geschichte anders erzählen, wie man auch die Geschichte der Nehmer anders erzählen kann, aber diese Version ist so gut wie eine andere.«
    Ich überlegte, dann sagte ich: »Ich denke gerade nach, was der Sinn der Welt, die Absichten der Götter und die Bestimmung des Menschen sind. Laut der Geschichte der Lasser.«
    »Und?«
    »Der Sinn der Welt... Ich glaube, das dritte Kapitel der Genesis hat recht. Die Welt ist ein Garten - der Garten der Götter. Ich sage das, obwohl ich starke Zweifel habe, ob überhaupt Götter im Spiel sind. Aber ich finde, es tut gut und macht Mut, sich das so vorzustellen.«
    »Ich verstehe.«
    »In dem Garten stehen zwei Bäume, einer für die Götter und einer für uns. Der Baum für die Götter ist der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, der für uns ist der Baum des Lebens. Aber wir finden den Baum des Lebens nur, wenn wir im Garten bleiben - und im Garten bleiben können wir nur, wenn wir die Hände vom Baum der Götter lassen.«
    Ismael nickte bestätigend.
    »Dann die Absichten der Götter ... Es
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