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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim
Autoren: Antje Babendererde
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beschließe, dieses Lächeln zu übersehen. Ich war vierzehn Stunden dort unten und Alina zwei lange Jahre. Sie musste ungeheuer stark sein, um das durchzustehen, ohne verrückt zu werden.
    Â»Rudi Grimmer hatte an diesem Abend einen Unfall«, erzähle ich ihr. »Er lag ein paar Tage im Koma und war danach noch lange im Krankenhaus. Es hat ihn übel erwischt.«
    Â»Ich dachte, das Schwein wäre tot.«
    Â»Was? Du hast von dem Unfall gewusst?«
    Â»Ja.« Sie springt auf, beginnt, vor mir hin und her zu laufen. »Er kam mir im Wald mit seinem Auto entgegen. Er muss geglaubt haben, er hätte einen Geist gesehen. Sein Wagen kam ins Schleudern und er ist gegen einen Baum gekracht. Ich wusste nicht, dass er es war. Ich bin hingegangen und habe ihn gesehen, das Gesicht blutüberströmt. Er hat keinen Mucks von sich gegeben, deshalb dachte ich … na ja, er sah ziemlich tot aus. Ich war sicher, dass er seine gerechte Strafe bekommen hat und keinem Mädchen mehr etwas tun konnte.«
    Â»Und du bist einfach weitergelaufen?«
    Â»Ja. Ich stand unter Schock, Waldschrat – was glaubst du denn? Ich bin bis in die Stadt gelaufen, habe mich in einen Garten verkrochen und auf einer Hollywoodschaukel schlafen gelegt. Am nächsten Morgen hat Joshi mich gefunden, ein Junge, der mit ein paar Leuten in diesem Haus lebte. Es gehörte einem alten Mann, der nicht mehr ganz beisammen war. Sie haben ihm geholfen und er war froh, nicht allein sein zu müssen. Seine Rente hat für uns alle gereicht. Als er ein paar Monate später starb, bin ich mit Joshi nach Erfurt gegangen.«
    Â»Du warst die ganze Zeit in Erfurt?«
    Â»Die letzten eineinhalb Jahre – ja.«
    Â»Wow«, ist alles, was ich dazu hervorbringe.
    Â»Wenn Grimmer die Tür an diesem Abend richtig verriegelt hätte«, ich schlucke trocken, »dann …« Ich sehe Alina an.
    Â»Dann Waldschrat, wäre ich in der rosaroten Gruft verhungert, während Grimmer im Krankenhaus lag.«
    Sie gibt sich nur so cool. Das alles muss sie doch in ihren Träumen verfolgen. Sie braucht Hilfe. Ich muss daran denken, dass alles anders gekommen wäre, wenn Alina damals bei ihren Eltern geklingelt hätte. Sie hätten die Polizei angerufen und Grimmer wäre noch beim Tierarzt verhaftet worden.
    Als er damals in seinem Krankenhausbett erwachte, hat er sich vermutlich gewundert, dass seine ehemaligen Kollegen nicht kamen, um ihm Handschellen anzulegen. Dass Alina ihn nicht anzeigte, nachdem sie ihm entkommen war.
    Â»Es tut mir leid, Waldschrat, dass er dich auch da unten eingesperrt hat. Ich dachte, er wäre tot.«
    Ja, denke ich, das Ganze hätte auch anders ausgehen können für Elli und für mich.
    Â»Alina!«
    Der Aufschrei lässt uns beide herumfahren. Es ist Alinas Vater, der auf uns zukommt, der mehr stolpert als läuft, bleich im Gesicht wie ein kalter Mond. Als er bei uns ankommt, reißt er Alina in seine Arme. Merbach stammelt ungläubige Worte, Tränen strömen über sein Gesicht. Er nimmt seine Tochter an den Schultern, schiebt sie ein Stück von sich, um sie gleich darauf wieder an seine Brust zu pressen. Alinas Arme schlenkern wie die einer Puppe.
    Da sind auch meine Eltern. Ma rennt und ich laufe ihr entgegen, fliege in ihre Arme. Sie drückt mich und küsst mich ab, als wäre auch ich fünf Jahre und nicht nur ein paar Stunden vermisst gewesen.
    Pa umarmt uns beide und ich fühle mich in dieser Umarmung sicher und geborgen – wie früher, als ich noch ein kleines Kind war.
    Â»Jola, Mädchen, du hast uns vielleicht einen Schrecken eingejagt.«
    Â»Ich bin bald gestorben vor Angst um dich.« Ma hält meine Hand fest umklammert.
    Ich hatte auch Angst, Ma. Eine Scheißangst.
    Â»Ich muss zu Olek ins Krankenhaus.«
    Â»Aber das geht jetzt nicht«, sagt Pa, »die Polizei ist bei dem Jungen.«
    Â»Ich muss zu ihm.« Ich muss wissen, ob er den Tod von Agnes’ Enkeltochter zu verantworten hat.
    Â»Jola«, Ma nimmt mich am Arm, »du warst vierzehn Stunden im Keller eines Verrückten und kaum bist du draußen, denkst du nur an diesen Jungen. Er ist ein Dieb, hat das ganze Dorf bestohlen.«
    Â»Ulla«, sagt Pa. »Jetzt nicht, okay?«
    Â»Ja, Ma.« Ich mache mich von ihr los. »Ich denke an Olek. Ich denke an dich und Pa, an Kai und Alina. Und ich denke an Olek und mich. Ich liebe ihn. Und ich muss etwas
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