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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim
Autoren: Antje Babendererde
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aus. »Ich habe ihnen erzählt, wie es passiert ist. Sie haben geweint. Wir alle haben geweint.«
    Â»Haben sie dir vergeben?«
    Er nickt. »Brigitta sagt, sie hat immer gewusst, dass es ein Unfall war, dass ich Kamila nicht wehgetan hätte. Das …«, seine Stimme versagt, er muss sich räuspern. »Das hat mir viel bedeutet.«
    Â»Wirst du jetzt wieder nach Hause gehen … mit ihnen?«
    Â»Nein.« Olek schüttelt den Kopf. »Sie haben es gewusst, sie haben mir vergeben. Aber Brigitta hat auch gesagt, dass … sie war erleichtert, dass ich weg war. Sie waren nicht sicher, ob sie hätte weiterleben können mit mir, unter einem Dach.«
    Ich sehe ihm an, dass er es versteht, aber es ist auch bitter für ihn. Er war noch ein Kind, als es passierte, und er trägt schwer an seiner Schuld. »Wohin wirst du gehen?«
    Â»Ich kann bei Agnes bleiben. Und dann … wir werden sehen.«
    Mein Herz macht einen Satz. Ich werde ihn nicht verlieren. Ich knie mich neben ihn und küsse ihn, bis er rücklings im Gras liegt und ich auf ihm.
    Â»Au, au, au.« Olek verzieht das Gesicht. Im Schmerz ein Lächeln.
    Auf dem Weg zurück ins Dorf eröffnet mir Olek, dass Brigitta und Marek mich kennenlernen wollen, dass ich für den Abend zum Essen eingeladen bin.
    Als die verabredete Zeit heranrückt, stehe ich fast eine Stunde lang frisch geduscht und mit nassen Haaren vor dem Spiegel und überlege, was ich am besten anziehen soll. Am Ende wähle ich knielange Jeans und ein meergrünes Top, darüber eine weiße Leinenbluse, die Tante Lotta mir geschenkt hat.
    Vor der Einfahrt der Merbachs stehen Caroline, Sabine Neumann und Frau Roland in ein Gespräch vertieft. Lasse tobt mit seinem quietschenden Dreirad den Bürgersteig entlang. Ich grüße die Frauen mit einem freundlichen Lächeln (freundlich zu sein, ist immer gut) und sie grüßen lächelnd zurück.
    Ich war in Grimmers Verlies gefangen. Ich bin die Freundin von Tomasz Kaminskis Enkel. Ich habe mir ihr Lächeln verdient. Meine Schritte werden leichter.
    Agnes’ Tochter Brigitta ist eine schöne Frau mit dichtem blondem Lockenhaar. Sie könnte tatsächlich Oleks Mutter sein, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Nun, sie ist seine Cousine, und das erklärt eine Menge. Ihre Schwangerschaft ist deutlich zu sehen, sie ist im fünften Monat und ihre Augen leuchten, wenn sie die Hände über ihren Bauch legt. Doch ich sehe auch die Traurigkeit, die unter diesem Leuchten schlummert, die immer da sein wird, weil sie fest verwebt ist ins Geflecht ihres Lebens.
    Brigitta und Marek sind herzliche Menschen und ich fühle mich wohl an Agnes und Maries ausgezogenem Küchentisch. Es gibt Bigos, einen traditionellen polnischen Eintopf mit gedünstetem Sauerkraut, Trockenpflaumen, Pilzen und verschiedenen Wurst- und Fleischsorten. Ich esse alles und es schmeckt.
    Marie Scherer sieht eingefallen aus. Ich ahne, wie sehr es ihr zusetzt, dass ihr Tomasz in dieser Höhle verhungert ist, dass er die ganze Zeit in ihrer Nähe war.
    Ich muss noch einmal alles erzählen. Von der Wölfin, von Olek, von Rudi Grimmer und seinem rosa Verlies, in das er erst meine Freundin und dann mich gesperrt hat. Als ich von Hubert Trefflich erzähle, beginnt Brigitta zu lächeln. Wie sich herausstellt, hat er sich schon mit dem Fernglas am Badesee herumgetrieben, als sie noch ein Teenager war.
    Schließlich ist meine Geschichte zu Ende und es wird auf einmal still am Tisch. An Agnes’ besorgtem Blick sehe ich, dass ich nicht nur zum Essen eingeladen bin, weil Brigitta mich kennenlernen und meine Geschichte hören wollte.
    Brigitta hat auch eine Geschichte.
    Der alte Schlotter, sein Enkel Willi, mein Opa August, Josef Euchler und Otto Grimmer waren die Männer, die damals zur Scheune zogen, um Tomasz Kaminski zu töten und verschwinden zu lassen.
    In meinem Kopf dreht sich alles, als ich den Namen meines Opas höre. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, diese Wahrheit zu wissen. Durch das Blut verbandelt zu sein ins Dunkle, das so weit in die Vergangenheit zurückreicht.
    Doch Brigitta erzählt schon weiter. Otto Grimmer hatte den amerikanischen Soldaten getötet, weil er Marie für sich wollte und rasend eifersüchtig war. Er hasste die amerikanischen Befreier, denn in seinen Augen hatte sie Hitlers kühnen Plan vereitelt.
    Â»Einer musste büßen dafür und
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