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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim
Autoren: Antje Babendererde
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geht ihm gut. Herr Merbach hat ihn im Wald gefunden und einen Krankenwagen gerufen. Er ist in Arnstadt im Krankenhaus. Dieser Trefflich hat ihn angeschossen, aber es ist nichts Lebensbedrohliches.«
    Eine Welle der Erleichterung erfasst mich so intensiv, dass ich beinahe ohnmächtig werde. Hanna Schilling legt ihren Arm um meine Schultern. »Na, kommen Sie, Jola. Über den jungen Mann muss ich Sie noch genau befragen, aber gehen wir erst einmal hier raus – die letzten Stunden müssen schlimm für Sie gewesen sein.«
    Die Kommissarin führt mich durch die Metalltür aus dem Verlies. Im davorliegenden Kellerraum hat offenbar ein Regal auf Rollen, vollgestellt mit Eingewecktem und altem Krempel, die Eisentür versteckt. Eine steile Betontreppe führt nach oben in einen gefliesten Flur. Die Haustür steht offen und ich sehe die Blätter eines Baumes im Sonnenlicht funkeln. Darüber ein Stück strahlend blauer Himmel. Es zieht mich dorthin, doch auf dem Weg durch den Flur kommen wir an der halb offenen Küchentür vorbei und ich sehe Rudi Grimmer zusammengesunken auf einem Küchenstuhl sitzen, die Hände in Handschellen. Ich bleibe stehen. Die Uhr an der Wand macht tak, tak, tak. Einen Augenblick lang stehen beide Zeiger auf der Zwölf. Fast vierzehn Stunden war ich in diesem Kellerloch eingesperrt.
    Das leise Zischen des elektrischen Rollstuhls dringt an meine Ohren und Elvira erscheint in der Küchentür. Sie schiebt sie ganz auf und rollt zu mir in den Flur. Heute sieht sie ein wenig verwahrlost aus. Auf ihren Wangen glitzern Tränenspuren.
    Elviras Hand greift zaghaft nach meiner, sie spitzt die Lippen: »Hü… Hü…«
    Â»Hühnerkacke«, sage ich. »Ja, ich weiß. Das ist alles verdammte Hühnerkacke. Es tut mir sehr leid, Frau Grimmer.«
    Elvira drückt meine Hand und lächelt. In der Küche hebt Rudi den Kopf. Er starrt mich aus schmalen Augen an.
    Â»Was haben Sie mit Alina gemacht?«
    Grimmer schüttelt schweigend den Kopf.
    Â»Kommen Sie, Jola«, die Kommissarin nimmt mich am Arm, »da draußen wartet jemand auf Sie.«
    Nach dem Gewitter hat sich die Luft abgekühlt, die Welt ist sauber gespült vom Regen. Alles atmet. Unten auf der Straße stehen Polizeifahrzeuge und ein Krankenwagen.
    Auf einer Holzbank in Grimmers Garten sitzt ein Mädchen in schwarzen Klamotten mit einer schwarz-roten Punkfrisur.
    Â»Geh nur.« Die Kommissarin nickt mir aufmunternd zu. »Wir reden später.«
    Die Schwarze ist behängt mit Ketten. Nase, Ohrläppchen, Augenbrauen sind zerstochen von Piercings. Wer soll das sein? Ich habe dieses Mädchen noch nie gesehen – oder doch? Diese blauen Augen … das kann nicht sein, ist schier unmöglich.
    Â»Alina?«
    Â»Hallo, Waldschrat, von dir hört man ja schlimme Sachen.« Das Mädchen grinst und in diesem Augenblick weiß ich, dass es wirklich Alina ist. Oder besser: war. Sie ist nicht mehr Tinkerbell im hellblauen Taftkleid. Sie ist eine dunkle Gothik-Queen, auferstanden von den Toten.
    Â»Du lebst?«
    Â»Sieht ganz so aus.«
    Â»Aber …« Ich schließe die Augen, schüttele den Kopf. Das kann einfach nicht wahr sein. Alina lebt. Und sie sieht nicht aus wie jemand, der aus einem Kerker kommt. Ihre Haut hat eine gesunde Bräune, ihre blauen Augen sind klar und da ist Bitternis und Trotz, aber keine Angst.
    Â»Du willst Antworten?«
    Ich setze mich neben sie auf die Bank. »Keine schlechte Idee.«
    Alina holt ein Tabakpäckchen aus ihrer von Buttons übersäten Umhängetasche und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen. Ihre lackierten Fingernägel funkeln im Sonnenlicht wie schwarze Edelsteine.
    Â»Ich war zwei Jahre da unten.« Sie nickt hinüber zu Grimmers Haus. »Zwei Jahre. Grimmer hat mich mit einem greinenden Katzenbaby aus dem Garten in den Wald gelockt, hat mich mit Äther betäubt und in seine rosafarbene Gruft gesperrt.«
    Â»Am helllichten Tag?«
    Alina zuckt mit den Achseln. Sie befeuchtet das Zigarettenpapier mit ihrer gepiercten Zunge, dreht die Zigarette fertig und zündet sie mit einem Feuerzeug an.
    Â»Hat er dich?«, ich schlucke. »Ich meine, hat er …?«
    Â»Sex mit mir gehabt?« Sie nimmt einen tiefen Zug und schüttelt den Kopf, während sie den Rauch durch Mund und Nase ausstößt. »Nein, nicht wirklich«, antwortet sie, schaut mich dabei jedoch
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