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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim
Autoren: Antje Babendererde
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Wichtiges herausfinden.«
    Doch aus meinem Plan wird nichts. Ich werde von der sommersprossigen Kommissarin zur Befragung in einen Polizeibus geholt. Meine Eltern wollen dabei sein, aber ich bestehe darauf, alleine mit Hanna Schilling zu sprechen, und schließlich geben sie nach.
    Diesmal ist es anders als vor fünf Jahren. Ich bin fast siebzehn und ich verstehe die Dinge – na ja, zumindest fast.
    Â»Es ist eine lange Geschichte«, warne ich die Kommissarin.
    Â»Erzählen Sie von Anfang an, Jola, und bitte alles, jedes Detail ist wichtig.«
    Ich beginne mit meiner Geschichte zu dem Zeitpunkt, als ich anfing, mich im Wald beobachtet zu fühlen. Ich erzähle alles, nur die Liebe, die bleibt mein Geheimnis.
    Eine Klimaanlage kühlt den Bus. Durchs Fenster kann ich sehen, wie sich ein Polizeibeamter über Frau Grimmer in ihrem Rollstuhl beugt, und frage mich, was jetzt aus ihr wird.
    Â»Dieser Olek, Jola …« Ich wende den Kopf und schaue die Kommissarin wieder an. »Der Junge gilt in Polen seit fünf Jahren als vermisst. Seine Familie dachte, er wäre tot. Damals ist etwas Schreckliches passiert mit seiner kleinen Schwester.«
    Â»Ich weiß.«
    Â»Okay.« Sie mustert mich eindringlich. »Mir ist klar, dass in so einem kleinen Dorf wie Altenwinkel viel geredet wird und nicht immer ist was dran. Aber die Leute sagen, Sie und der Junge …«
    Ich spüre, wie ich rot anlaufe. »Das geht nur mich und Olek etwas an.«
    Â»Verstehe.«
    Â»Aber wenn Sie Oleks Höhle durchsuchen …«
    Â»Ja?«
    Â»Dann werden Sie auf ein Skelett stoßen.«
    Die Kommissarin schnappt nach Luft.
    Ich muss lächeln. »Es ist nicht, wie Sie denken. Olek hat niemanden umgebracht. Der Mann, der da sitzt, ist schon seit fast fünfzig Jahren tot. Olek … Alexander, er ist Agnes Scherers Neffe und gleichzeitig ihr Adoptivenkel. Agnes wohnt hier im Dorf. Und der Mann in der Höhle ist ihr Vater. Oleks Großvater Tomasz.«
    Kommissarin Schilling klappt das Kinn nach unten.
    Â»Ich habe doch gesagt, es ist eine lange Geschichte.«
    Als ich den Polizeibus endlich verlassen kann, steht ein Übertragungswagen des Regionalfernsehens an der Straße. Fotografen und Reporter werden von den Beamten zurückgehalten.
    Ich kann die Schlagzeilen schon vor mir sehen : Expolizist hält Mädchen als Liebessklavin in seinem Keller und Polnischer Dieb auf Truppenübungsplatz gefasst .
    Die Reporter rufen mir Fragen zu. »Hat Grimmer dir etwas getan? Wer ist der Wolfsjunge?«
    Der Wolfsjunge? Ich lächele in mich hinein. Wolfsjunge gefällt mir viel besser als Dieb.
    Pa lässt sich schließlich doch breitschlagen und fährt mich nach Arnstadt ins Krankenhaus. Er gibt mir eine gute Stunde, dann soll ich wieder auf dem Parkplatz sein.
    Olek liegt allein in einem Zimmer mit zwei Betten. Halb aufrecht sitzt er ans hochgestellte Kopfteil gelehnt und starrt wie gebannt auf den Fernseher. Die dunkle Haut seiner Arme bildet einen scharfen Kontrast zur blütenweißen Bettwäsche.
    Als er mich bemerkt, wendet er den Kopf zur Tür und jähe Freude erhellt sein Gesicht. »Jola!«
    Â»Hey.« Ich setze mich zu ihm aufs Bett und er stellt den Fernseher aus. Erst jetzt bemerke ich, dass Olek ein blaues Auge hat.
    Ich strecke meine Hand aus und fahre mit den Fingern vorsichtig über seine rechte Schläfe. »Haben diese Idioten dich auch noch verprügelt?«
    Â»Nein, das war Ellis Faust.« Er stützt sich mit beiden Händen im Bett ab und versucht, sich ein wenig nach oben zu schieben. Dabei verzieht er das Gesicht vor Schmerz.
    Â»Wo hat der Idiot dich überhaupt getroffen?«
    Olek hebt die dünne Decke an, zieht sein Krankenhaushemd unters Kinn und zeigt mir seinen von versprengten roten Punkten gemusterten Oberkörper.
    Ich atme geräuschvoll ein. »Schrotkugeln. Das tut bestimmt furchtbar weh?«
    Kopfschüttelnd zieht Olek die Mundwinkel nach unten. »Sieht schlimm aus, ist aber nicht«, sagt er, doch ich weiß, dass er lügt. In seinen gelbgrünen Augen sehe ich, wie weh es tut. »Ein paar sie haben rausgeholt, der Rest bleibt drin. Der Arzt sagt, Schaden ist größer, wenn sie Schrotkörner rausholen, als wenn sie drinbleiben.«
    Ich ziehe Oleks Krankenhaushemd wieder über seinen gesprenkelten Bauch und decke ihn zu. Anscheinend weiß Olek noch gar nichts von Grimmer und wo ich die Nacht
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