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Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn
Autoren: Dean R. Koontz
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aber verschwand er so still und leise wie ein Gespenst, das an seinem Schlupfwinkel entmaterialisiert.
    Draußen waren kaum noch zwei Stunden sommerliches Tage s licht übrig. Der Himmel war im Osten ekstatisch blau, im Westen, wo die Sonne ihn noch bleichte, deutlich blässer.
    Als Billy auf seinen SUV zuging, fiel ihm auf, dass unter dem Scheibenwischer der Fahrerseite ein weißer Zettel steckte.
    Er setzte sich hinters Lenkrad, ohne die Tür zu schließen, und faltete den Zettel auf. Statt Werbung für eine Autowaschanlage oder eine Reinigungsfirma entdeckte er eine sauber per Comp u ter getippte Botschaft:
    Wenn du diese Nachricht nicht zur Polizei bringst, um sie einzuschalten, werde ich irgendwo in Napa County eine hübsche blonde Lehrerin umbringen.
    Wenn du diese Nachricht zur Polizei bringst, werde ich stat t dessen eine ältere Frau umbringen, die sich sozial engagiert.
    Dir bleiben sechs Stunden, um dich zu entscheiden. Du hast die Wahl.
    Billy spürte in diesem Augenblick nicht, wie der Boden unter ihm zur Seite kippte, doch das war der Fall. Der Absturz hatte zwar noch nicht begonnen, aber das würde er tun. Bald.
     

2

    Micky Maus erwischte eine Kugel in der Kehle. In rascher Folge krachte die 9-mm-Pistole weiter dreimal. Diese Schüsse zerfetzten das Gesicht von Donald Duck.
    Lanny Olsen, der Schütze, wohnte am Ende einer rissigen Asphaltstraße an einem steinigen Hang, wo niemals Trauben gewachsen wären. Er hatte keinen Blick auf die berühmten Weinberge im Napa Valley.
    Zum Ausgleich für die wenig mondäne Adresse wurde das Grundstück von wunderschönen Pflaumenbäumen und riesigen Ulmen beschattet. Wilde Azaleen lieferten Farbtupfer. Auße r dem war es abgeschieden.
    Der nächste Nachbar wohnte so weit entfernt, dass Lanny täglich rund um die Uhr hätte Partys feiern können, ohne irgendjemanden zu stören. Das nützte ihm allerdings nichts, weil er normalerweise schon um halb zehn ins Bett ging. Zu seiner Vorstellung einer Party gehörten ein paar Sixpacks Bier, eine Tüte Chips und ein Pokerspiel.
    Für Schießübungen war die Lage seines Hauses jedoch ideal. Er war der sicherste Schütze in der Truppe des Sheriffs von Napa County.
    Als Junge hatte er Cartoonist werden wollen. Talent dafür hatte er durchaus. Die originalgetreuen Porträts von Micky Maus und Donald Duck, die an den als Kugelfang dienenden Heuballen befestigt waren, stammten von Lannys Hand.
    Lanny nahm das verbrauchte Magazin aus seiner Pistole.
    »Du hättest mal gestern hier sein sollen«, sagte er. »Ich hab nacheinander zwölf Road Runnern ’nen Kopfschuss verpasst, ohne eine einzige Patrone zu vergeuden.«
    »Wile E. Coyote wäre begeistert gewesen«, sagte Billy.
    »Schießt du eigentlich auch mal auf stinknormale Zielsche i ben?«
    »Das macht doch keinen Spaß.«
    »Wie steht es mit den Simpsons?«
    »Homer, Bart und so weiter, die kommen alle dran – bis auf Marge. Die nehme ich nie.«
    Vielleicht hätte es Lenny bis auf die Kunstakademie geschafft, hätte sein dominanter Vater Ansel nicht darauf bestanden, dass sein Sohn der Familientradition folgte und zur Polizei ging, wie schon Ansel in die Fußstapfen seines Vaters getreten war.
    Pearl, Lannys Mutter, hatte so gut für ihn gesorgt, wie ihre Krankheit es zuließ. Als Lanny sechzehn war, hatte man bei ihr ein malignes Lymphom diagnostiziert.
    Die Bestrahlungen und die Chemotherapie laugten sie aus. Selbst in den Perioden, in denen der Krebs unter Kontrolle war, erholte sie sich nicht vollständig.
    Aus Sorge, dass sein Vater nicht als Krankenpfleger taugte, verzichtete Lanny darauf, es auf der Kunstakademie zu vers u chen. Er blieb zu Hause, meldete sich bei der Polizei und kümmerte sich um seine Mutter.
    Unerwartet starb Ansel dann als Erster. Als er einen Autofa h rer anhielt, um ihm einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung zu verpassen, griff dieser zu seiner Achtunddreißiger und hinderte ihn mit einem Schuss aus nächster Nähe daran.
    Obwohl Pearl in ungewöhnlich jungem Alter an einem Lymphom erkrankt war, lebte sie erstaunlich lange damit. Inzwischen lag ihr Tod aber auch schon zehn Jahre zurück.
    Damals war Lanny sechsunddreißig gewesen, also noch jung genug, um sich neu zu orientieren und doch noch auf die Akademie zu gehen. Seine Trägheit hatte sich jedoch als stärker erwiesen als der Wunsch nach einem neuen Leben.
    Er hatte das Haus geerbt, einen hübschen viktorianischen Bau mit aufwändigen Holzdekorationen und einer Veranda
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