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Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn
Autoren: Dean R. Koontz
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ERSTER TEIL - Du hast die Wahl
     
    1

    Mit einem frisch gezapften Bier und einem breiten Lächeln brachte Ned Pearsall einen Trinkspruch auf seinen verstorbenen Nachbarn Henry Friddle aus, über dessen Tod er eine ungeheure Genugtuung empfand.
    Henry war durch einen Gartenzwerg ums Leben gekommen, als er vom Dach seines zweistöckigen Hauses auf die fröhlich dreinblickende Figur gefallen war. Der Zwerg war aus Beton, Henry hingegen nicht.
    Ein gebrochener Hals, ein geborstener Schädel – Henry war auf der Stelle tot gewesen.
    Dieser Tod durch Zwerg war nun schon vier Jahre her. Trot z dem trank Ned Pearsall noch immer mindestens einmal in der Woche auf Henrys Ableben.
    Der einzige weitere Gast – ein Auswärtiger, der am anderen Ende der polierten Mahagonitheke auf seinem Hocker saß – äußerte sein Erstaunen über Neds anhaltende Erbitterung.
    »Wie kann der arme Kerl als Nachbar bloß so schlimm gew e sen sein, dass Sie immer noch derart sauer auf ihn sind?«
    Normalerweise hätte Ned die Frage womöglich einfach ign o riert. Fremde mochte er nämlich noch weniger als Salzbrezeln.
    Die Kneipe stellte für ihre Gäste Schalen mit kostenlosen Salzbrezeln bereit, weil die billig waren. Ned war es lieber, seinen Durst mit gut gesalzenen Erdnüssen aufrechtzuerhalten.
    Damit Ned Trinkgeld gab, überließ ihm Billy Wiles, der Barkeeper, gelegentlich kostenlos einen Beutel seines Liebling s futters.
    Meist musste Ned für seine Erdnüsse jedoch bezahlen. Das ärgerte ihn, entweder weil er kein Verständnis für die ökonom i schen Realitäten der Gastronomie besaß, oder weil er sich gerne ärgern ließ. Wahrscheinlich traf Letzteres zu.
    Obwohl man beim Anblick seines Kopfs unwillkürlich an einen Squashball denken musste und bei seinen massigen Schultern an die eines Sumoringers, konnte Ned nur als athlet i scher Typ gelten, wenn man das Praktizieren von Kneipengewäsch und Groll als Sport bezeichnete. In diesen Disziplinen erreichte er olympische Qualitäten.
    Was den verstorbenen Henry Friddle anging, konnte Ned gegenüber Auswärtigen genauso gesprächig werden wie gegenüber alteingesessenen Bewohnern von Vineyard Hills. Denn wenn außer einem Fremden kein weiterer Gast zugegen war, fand Ned die Unterhaltung mit einem von diesen »auswä r tigen Teufeln« immer noch angenehmer als zu schweigen.
    Billy war noch nie besonders gesprächig gewesen. Er war keiner jener Barkeeper, die ihren Platz hinter dem Tresen als Bühne betrachten. Lieber hörte er zu.
    An den Auswärtigen gewandt, erklärte Ned: »Henry Friddle war ein Schwein.«
    Sein Gesprächspartner hatte Haare, die so schwarz waren wie Kohlenstaub, doch mit Spuren von Asche an den Schläfen, und eine leise, aber volltönende Stimme. In seinen grauen Augen funkelte ein trockener Humor. »Das ist ein schwerwiegender Ausdruck – Schwein. «
    »Wissen Sie, was dieser Perversling auf seinem Dach getri e ben hat? Er hat versucht, an mein Esszimmerfenster zu pinkeln!«
    Billy Wiles, der gerade den Tresen abwischte, warf nicht einmal einen Blick auf den Fremden. Er hatte die Geschichte schon so oft gehört, dass er alle Reaktionen darauf kannte.
    »Friddle, dieses Schwein, hat gemeint, durch die Höhe würde sein Strahl ein Stück weiter reichen«, erklärte Ned.
    »War er etwa Fachmann für so was – zum Beispiel Luftfahr t ingenieur?«, fragte der Fremde.
    »Er war Professor am College. Da hat er zeitgenössische Literatur gelehrt.«
    »Vielleicht hat ihn das Lesen dieses Zeugs in den Selbstmord getrieben«, sagte der Fremde, was ihn für Billy interessanter machte, als dieser zuerst gedacht hatte.
    »Nein, nein«, sagte Ned ungehalten. »Der Sturz war ein U n fall.«
    »War er betrunken?«
    »Wieso meinen Sie, dass er betrunken war?«, fragte Ned verwundert.
    Der Fremde zuckte die Achseln. »Schließlich ist er aufs Dach geklettert, um auf Ihr Fenster zu pinkeln.«
    »Er war ein kranker Mann«, sagte Ned und tippte mit dem Fingernagel an sein leeres Glas, um seinen Wunsch nach Nachschub kundzutun.
    Während Billy ein Budweiser zapfte, sagte er: »Henry Friddle wurde von Rachsucht verzehrt.«
    Nach einem schweigenden Zug aus seinem Bierglas fragte der Fremde, an Ned Pearsall gewandt: »Von Rachsucht? Also haben zuerst Sie an Friddles Fenster gepinkelt?«
    »Das war ganz was anderes!«, protestierte Ned in einem rauen Ton, der dem Fremden den Rat gab, nicht vorschnell Stellung zu beziehen.
    »Ned hat es nicht von seinem Dach aus gemacht«, sagte
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