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Irrsinn

Irrsinn

Titel: Irrsinn
Autoren: Dean R. Koontz
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hab noch nie jemandem ans Fenster gepi n kelt.«
    »Ich hab den Eindruck, Sie sind wie ein Schwamm. Sie ne h men alles in sich auf.«
    Billy griff nach einem Geschirrtuch, um einige Pilsgläser zu polieren, die gewaschen und getrocknet im Ablauf standen.
    »Aber außerdem sind Sie ein Stein«, fuhr der Fremde fort, »denn wenn man Sie ausquetscht, lassen Sie nichts heraus.«
    Billy polierte weiter seine Gläser.
    Die grauen, amüsiert glänzenden Augen wurden noch heller. »Sie sind ein Philosoph, und das ist heutzutage ungewöhnlich, weil die meisten Leute nicht mehr wissen, wer sie sind, was sie glauben oder warum sie das tun.«
    Auch dies war eine Sorte Kneipengewäsch, mit der Billy vertraut war, obgleich er sie nicht oft hörte. Verglichen mit Ned Pearsalls Lästereien mochten solche beschwipsten Beobachtu n gen intelligent erscheinen, aber im Grund handelte es sich doch nur um biergetränkte Psychoanalyse.
    Er war enttäuscht. Einen Moment lang hatte er den Eindruck gehabt, der Fremde unterscheide sich von den zweibackigen Heizkörpern, die sonst den Kunststoffbezug der Hocker wär m ten.
    Billy schüttelte den Kopf. »Ein Philosoph«, sagte er lächelnd. »Das ist wirklich zu viel der Ehre.«
    Der Fremde schlürfte sein Bier.
    Obgleich Billy eigentlich nicht vorgehabt hatte, dem etwas hinzuzufügen, hörte er sich sagen: »Nicht auffallen, ruhig bleiben, nichts verkomplizieren, nicht viel erwarten und geni e ßen, was man hat.«
    Der Fremde lächelte. »Selbstgenügsam sein, sich raushalten und die Welt zum Teufel gehen lassen, wenn sie das will.«
    »Schon möglich«, gab Billy zu.
    »Zugegeben, mit Platon kann das nicht konkurrieren«, sagte der Fremde, »aber eine bestimmte Philosophie ist es doch.«
    »Haben Sie auch eine?«, erkundigte sich Billy.
    »Momentan bin ich der Meinung, dass mein Leben besser und sinnvoller sein wird, wenn ich jeder weiteren Unterhaltung mit Ned aus dem Weg gehen kann.«
    »Das ist keine Philosophie«, beschied ihm Billy, »sondern eine Tatsache.«
    Um zehn nach vier kam Ivy Elgin zur Arbeit. Sie war nicht nur eine ausgezeichnete Kellnerin, sondern auch ein Objekt der Begierde, das seinesgleichen suchte.
    Billy mochte sie, begehrte sie jedoch nicht. Was das anging, war er unter den Männern, die in der Kneipe tranken oder arbeiteten, eine Besonderheit.
    Ivy hatte mahagonibraunes Haar, klare, brandyfarbene Augen und einen Körper, nach dem Hugh Hefner sein ganzes Leben lang gesucht hatte.
    Trotz ihrer vierundzwanzig Jahre schien ihr tatsächlich nicht klar zu sein, dass sie eine zu Fleisch und Blut gewordene männliche Fantasie darstellte. Sie verhielt sich nie verführerisch. Gelegentlich war sie kokett, jedoch nur auf angenehme Weise. Ihre Schönheit und ihr schulmädchenhafter Charme bildeten eine regelrecht exotische Kombination.
    »Tag, Billy«, sagte Ivy, während sie auf den Tresen zuging.
    »Ich hab an der Old Mill Road eine tote Beutelratte liegen sehen, etwa einen halben Kilometer von der Kornell Lane entfernt.«
    »Natürlicher Tod oder überfahren?«
    »Eindeutig Letzteres.«
    »Und was bedeutet das deiner Meinung nach?«
    »Noch nichts Besonderes«, sagte sie und gab ihm ihre Handt a sche, damit er sie unter dem Tresen verstauen konnte.
    »Das ist das erste tote Viech, das ich seit einer Woche gesehen hab, also hängt es davon ab, was für andere Leichen noch auftauchen, falls überhaupt.«
    Die liebe Ivy hielt sich für eine Haruspizin. Haruspizes und Haruspizinnen hatten im alten Rom eine Gilde von Priestern gebildet, die aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft vorhersagten. Von ihren Landsleuten waren sie geachtet, ja verehrt worden, aber zu Partys hatte man sie wahrscheinlich nicht besonders häufig eingeladen.
    Ivy hatte durchaus keine morbide Fantasie. Ihr Interesse am Orakel stand nicht im Mittelpunkt ihres Lebens, und mit Gästen sprach sie nur selten darüber. Abgesehen davon brachte sie es nicht fertig, in Innereien zu wühlen. Für eine Haruspizin war sie ziemlich zimperlich.
    Ihre Interpretation leitete sie daher von der Spezies des Kad a vers ab, von den Umständen seiner Entdeckung, von seiner Lage in Beziehung zur Windrichtung und von weiteren geheimnisvo l len Aspekten seines Zustands.
    Ihre Vorhersagen bewahrheiteten sich nur selten, falls übe r haupt, doch Ivy gab nicht auf.
    »Egal, welche Bedeutung sich ergeben wird«, sagte sie zu Billy, während sie Bestellblock und Bleistift an sich nahm, »es ist ein schlechtes Zeichen. Eine tote
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