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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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verschrumpelte Mumie ausgesehen haben. Ich habe es nicht selbst gesehen, das erzählt man sich nur so. Wahrscheinlich haben sie ein bisschen übertrieben. Aber |209| wahr ist, dass die Schwester der Stetlow über zwei Monate tot in dem Haus lag, bevor man sie abholte. Der Utzschneiderin fiel irgendwann auf, dass der Gestank nicht mehr von ihrem Komposthaufen kommen könne. Und dass mit den Stetlows etwas nicht in Ordnung war, wusste sie als Nachbarin ja schon lange. Also rief sie die Polizei und erzählte den Beamten am Telefon von ihrem Verdacht. Als die Polizei dann kam, tickte die Stetlow natürlich völlig aus. Sie bedrohte die Polizisten mit einem Küchenmesser, schrie rum und versuchte, die Türen zu verbarrikadieren. Schließlich brachen die Bullen die Tür auf, entwaffneten die Alte und nahmen sie mit. Sie wurde in die Psychiatrie eingeliefert. Meine Mutter sagte damals, das hätte schon viel früher passieren müssen. Es gab genug Anzeichen, dass die Stetlow Paranoia hatte. Hätte man das rechtzeitig behandelt, wäre daraus nicht so eine Tragödie geworden.«
    Ich starrte Fabian noch immer an. »Ist sie tot?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht ist sie tot, vielleicht ist sie noch immer in der Psychiatrie. Das würde auch erklären, warum das Haus noch immer leer steht. Aber wer weiß, vielleicht ist es auch längst vererbt worden, aber der Erbe sitzt irgendwo in Kanada. Ich war übrigens vor ein paar Jahren auch mal drinnen. Wir haben allerdings kein Geld gefunden. Wir haben uns im Keller eine Art Lager gebaut, mit alten Teppichen und Kerzen. Am Anfang war es lustig und aufregend, später wurde es dann langweilig. Wenn ich ehrlich bin, hat es mich auch ein bisschen gegruselt.«
    »Was war mit dem Keller? Als wir dort waren, gab es |210| keinen Boden. Es lag nur Kies herum. Sam glaubte, sie hätte dort eine Leiche vergraben.«
    »Ich fand das auch eigenartig. Ich habe dann meinen Vater gefragt, er ist ja Immobilienmakler. Er sagte, das sei nicht ungewöhnlich. Früher habe man bei Häusern oft auf das Fundament verzichtet, um Geld zu sparen. Bei Kiesboden geht das.«
    »Und der Rohbau im Erdgeschoss?«
    »Das weiß ich auch nicht. Kann sein, dass sie das Stockwerk renovieren und vermieten wollten, aber davon weiß ich nichts. Du müsstest halt mal die Utzschneiderin fragen, die kannte die beiden am besten. Ich glaube, sie sieht auch noch manchmal nach dem Rechten. Und weißt du, was so komisch daran ist?«
    »Sie hat einen Hund.«
    »Richtig. Und das ist irgendwie witzig, weil wenn die Stetlow wüsste, dass ein Hund auf ihrem Grundstück ist, würde die Amok laufen.«
    »Du hast die ganze Zeit davon gewusst! Warum hast du nicht mal was gesagt? Ein kleiner Hinweis hätte doch genügt, ich hätte dir alles erzählt. Leo, Sam und   …« – ich wollte Schenz sagen – »…   Leo bestimmt auch. Wir hätten dich mitgenommen. Wir   …«
    »Keine Ahnung.« Er zuckte kurz mit den Schultern. »Ihr habt mich nie gefragt. Außerdem war ich zu verpeilt.«
    Er zuckte abermals mit den Schultern.
    Wir schwiegen eine Weile. Fabian begann eine neue Runde und ich blies weiterhin Rauch in die dicke, stille Luft des Zimmers. Mich beruhigten die Schlaggeräusche, |211| die aus dem Fernseher klangen, wenn Fabians Figur einen Treffer landete. Schließlich stand er auf, schlurfte mit seiner für ihn doppelt zu großen Jeans in Richtung Balkontür und öffnete sie. Wir setzten uns auf den steinernen Boden und klemmten unsere Körper zwischen Hauswand und Holzgeländer. Fabian drehte einen Joint.
    »Er wird nichts sagen, oder? Er wird dichthalten, nicht wahr?«
    »Er wäre doch blöd, wenn er den Bullen davon erzählen würde. Außerdem«, er hielt kurz inne, zündete den Joint an und blies, nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte, eine dicke, nicht enden wollende Rauchschwade aus seiner Lunge hinaus, »glaubt ihm die Geschichte doch eh keiner.«
    »Fabian«, sagte ich und sah ihn an. Er brummte, so gut er mit seiner hohen Kinderstimme brummen konnte, und reichte mir den Joint.
    »Schenz ist tot.«
    »Krass«, antwortete er und nach ein paar Sekunden der Stille: »Scheiße.«

|212| Zwanzig
    Durch eine Glasscheibe sah ich Kühe grasen, ab und zu tauchte ein klinisch-rein gepflegtes Bauernhaus auf und verschwand wieder. Nur die Berge wuchsen beständig, je näher ich ihnen kam. Es roch säuerlich nach Salami-Wurstbroten und süßlich nach Weichspüler. Ich saß im Raucherabteil, mir gegenüber ein Mittvierziger mit einem vom Bier
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