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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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und stopft sich grinsend eine Handvoll davon in den Mund. Seine Zähne sind spitz wie die eines Raubtiers. Sam kommt aufgeregt zu mir gelaufen, sagt, dass zwei Schwestern hinter ihm her seien. Wir müssen fliehen, schnell, jede Sekunde zählt. Ich zögere, versuche ihn zu beruhigen, sage ihm, wir sollten das mal in Ruhe besprechen und uns dann überlegen, was zu tun ist. Sam schreit: Nein, jetzt! Er hat recht. Ich erkenne die beiden Schwestern am Geruch. Es ist der Modergeruch des Hauses. Wir rennen panisch, so schnell wir können, doch als ich mich umdrehe, sehe ich Sam hinter mir zurückfallen. Er keucht, bleibt stehen, stützt die Hände auf die Knie und schnappt nach Luft. Ich rufe ihm zu: Lauf! Doch er kann nicht mehr, er bleibt stehen und schnauft. Sie |194| kriegen ihn. Im nächsten Moment sitze ich bei Fabian auf der Couch. Er grinst und sagt: Jeder weiß doch, dass das Haus verflucht ist. Jeder weiß es, nur ihr habt es nicht gewusst. Weil ihr es nicht wissen wolltet. Er sagt: Ihr seid selbst schuld, nicht? Kichernd setzt er sich wieder vor seine Playstation.
     
    Ich kann auch nicht mehr genau erklären, warum ich nach Sams Party noch mal in das Haus ging. Vielleicht wollte ich etwas zum Abschluss bringen, von dem ich dachte, ich hätte es mit dem Vergraben des Geldes längst getan. Ich weiß nur: Als ich zum letzten Mal in das Haus einstieg, war es nicht wegen des Geldes. Selbst wenn ich welches gefunden hätte, ich hätte es nicht mitgenommen. Mich interessierte etwas anderes. Vielleicht wollte ich das Haus mit klarem, nicht von Geldgier vernebelten Verstand sehen, vielleicht wollte ich sicher sein, dass Sam unrecht hatte und sich diese ganze Verfolgungsgeschichte, von der er immer gefaselt hatte, nur eingebildet hatte.
    Ich fuhr mit dem Fahrrad in die Blumenstraße. Es waren Wochen vergangen, seitdem ich das letzte Mal hier gewesen war. Jetzt roch es nicht mehr nach Sonne, die Winterreste aus dem Gras vertreibt, sondern nach Herbst.
    Die Hecke war an manchen Stellen gelblich, an anderen braun verfärbt. Niemand unterdrückte die Aufregung und die Freude, keiner redete Schwachsinn. Dieses Mal war es wirklich still, ich war alleine. Das Loch in der Hecke war wesentlich größer, nun, da sie |195| nicht mehr so dicht war wie damals im Mai. Man konnte das Schlupfloch leicht erkennen, sogar im Vorbeigehen. Noch immer war das Gras kniehoch, doch dort, kurz vor der ersten Biegung, lag es platt gedrückt, als hätte sich ein Mensch darin gewälzt, um den Abdruck einer Engelsfigur zu hinterlassen, so wie es Kinder im Schnee manchmal tun.
    Ich bog um die zweite Ecke und stand vor der Rückseite des Hauses, dort wo die offene Terrassentür war, durch die wir hineingelangt waren. Ein paar Glasscherben lagen auf den Steinen, in deren Furchen Moos wucherte. Inmitten der Glastür klaffte ein Loch. Jemand musste die Scheibe mit einem Stein eingeschlagen haben. Tatsächlich sah ich im Innern des Raumes noch mehr Scherben und einen faustgroßen Stein. Die Wäscheleine war nicht mehr aufgespannt. Sie lag am Boden und mit ihr die Schürze und der Beutel mit den bunten, klappernden Wäscheklammern. Der Haken, an dem die Leine befestigt worden war, steckte noch in der Wand. Jemand hatte sie durchschnitten.
    Ich stieg die Treppe nach oben zur Wohnung, und als ich den Schlüssel sah, der wie auch bei unserem letzten Einstieg in der Tür steckte, zog ich ihn aus dem Schloss heraus. Ich betrat die Wohnung, an deren Modergeruch sich nichts geändert hatte, doch nun, aus einem ängstlichen Impuls heraus, schloss ich die Wohnungstür von innen mit dem Schlüssel ab.
    Ich war alleine in der Wohnung der Schwestern und niemand konnte mich hier drinnen mehr stören.
    Als ich mich umdrehte, stand ich mitten in einem gewaltigen |196| Chaos aus Papier, Tüchern, Dreck und Möbeln. Ein Bücherregal war umgeschmissen worden und lehnte an der gegenüberliegenden Wand, während die Bücher teils zerfleddert auf dem Boden lagen. Der gesamte Boden des Flurs war mit einer Schicht aus Papieren, alten Zeitungen, Kleidung und Bettwäsche bedeckt, sodass man gute 20   Zentimeter höher stand. Sogar eine Teekanne aus der Küche lag dort. Als hätte jemand den gesamten Inhalt aller Schränke und Schubladen auf dem Boden des Flurs verstreut.
    Ich ging in das Schlafzimmer, dort wo Schenz die Matratze aufgeschlitzt und wir den Schrank aufgebrochen hatten, das Zimmer, in dem wir 60   000   Mark gefunden hatten. Ich bewegte mich langsam und behutsam wie
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