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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein
Autoren: Philipp Mattheis
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500   Mark geschenkt. Meinst du, ich bin blöd? Ich habe mir nur gedacht, endlich gibt mir |206| auch einer mal was von dem Geld ab. Außerdem kennt doch eigentlich jeder in Meining das Haus. Sogar meine Mutter weiß davon. Du bist ganz schön blass, übrigens. Schau dich mal im Spiegel an.«
    Er drückte auf »Start« und begann zu kämpfen. Hektisch drückten seine kleinen Finger auf die Tasten. Ab und zu bewegte sich sein Körper nach rechts und nach links, als könne er die Figur nicht nur mit seinen Fingern, sondern auch mit seinem Körpergewicht steuern.
    »Kann ich rauchen?«
    »Auf dem Balkon. Der Aschenbecher steht auf dem Fensterbrett.«
    Ich stand auf, öffnete die Balkontür und rauchte. Das Geld war vergraben. Sie würden nichts finden bei mir. Wenn Leo etwas ausplappern würde, könnte ich immer noch alles abstreiten. Sie konnten mir nichts nachweisen. Niemand hatte mich gesehen, es gab keine Zeugen. Schenz konnte nicht mehr sprechen, Sam war ja gerade in der Psychiatrie. Was würde es Leo bringen, wenn er mich hinhängte? Klares, warmes Licht schien durch die Fensterscheibe.
    »Hast du gerade gesagt, deine Mutter weiß was von dem Haus?«
    Er spielte weiter, als habe er meine Frage nicht gehört. Erst nachdem ein paar Minuten prügelnd und daddelnd vergangen waren, legte er das Joypad wieder zur Seite und drehte seinen Zwergenkörper zu mir.
    »Ich weiß auch nicht viel darüber. Es muss vor ein paar Jahren gewesen sein, ich war noch in der Grundschule, da fuhr hier ein Krankenwagen mit Blaulicht |207| vorbei. Das passiert öfter, aber noch am selben Nachmittag habe ich gehört, wie meine Mutter sich mit unserer Nachbarin, Dullinger heißt sie, unterhalten hat. Sie sagte, dass eine der beiden Schwestern aus dem Haus in der Blumenstraße gestorben sei. Eine Schwester war verrückt, das war eigentlich nichts Neues. Jeder im Ort hier wusste, dass die einen Knall hat. Vielleicht hatte sie ein Kriegstrauma oder so etwas, damit kenne ich mich nicht aus. Auf jeden Fall war sie ein bisschen verrückt, hat sich verfolgt gefühlt. Das kam aber erst nach und nach. Anfangs müssen sie noch ganz normal gewesen sein.«
    »Verfolgt von wem? Weißt du, von wem sie sich verfolgt gefühlt hat?«
    »Irgendwann hat die Ältere begonnen, so eigenartig auf Hunde zu reagieren. Zuerst hatte sie Angst vor ihnen, wechselte die Straßenseite, sobald ihr jemand beim Gassigehen entgegenkam. Irgendwann aber fing sie an, die Hunde zu beschimpfen und auf sie loszugehen. Damit hat sie sich natürlich nicht gerade beliebt gemacht in der Nachbarschaft, hier hat ja jede zweite Familie einen Hund. Sie beschimpfte die Viecher einfach, schrie sie an und fuchtelte vor ihnen mit dem Stock herum. Manche Nachbarn begannen, schlecht über sie zu reden und ihre Kinder vor der Frau zu warnen. Meine Mutter sagte damals zu mir, die Stetlow sei krank, eigentlich brauche sie Hilfe. Aber damit war sie ziemlich alleine. Die meisten Nachbarn haben einfach über sie geschimpft. Und ganz ehrlich: Ich fand sie auch gruselig. Ich war damals sieben oder acht Jahre alt und |208| ich habe mich vor ihr gefürchtet. Sie war hässlich, ihr kleines, faltiges Gesicht fiel am Mund zusammen, weil sie immer vergaß, ihre Zähne reinzutun, die Haare standen wirr vom Kopf ab und immer trug sie dreckige Putzkittel. Sie hat nach Schweiß und vergammeltem Essen gestunken.«
    Ich schluckte und zog an meiner Zigarette. Nach einer kurzen Pause fuhr Fabian fort.
    »Irgendwann hat die Stetlow dann angefangen, auf Menschen loszugehen und sie zu beschimpfen. Sie fühlte sich verfolgt von den Nachbarn und dachte, jeder wollte ihr etwas Böses. Ganz unrecht hatte sie damit ja auch nicht. Schließlich mochte sie ja wirklich kaum mehr jemand. Ihre Schwester muss damals schon krank gewesen sein. Ich glaube, sie hatte Krebs, aber davon erfuhren wir erst im Nachhinein, nachdem sie die Stetlow abgeholt hatten   … Jedenfalls sah man sie nie auf der Straße. Sie war immer daheim. Ihre Schwester, Hilde, ging nur noch zum Einkaufen aus dem Haus, und wenn sie jemanden traf, flüsterte sie und zischte, so als unterhalte sie sich mit jemandem, den nur sie sehen konnte. Sie gab den Nachbarn die Schuld an der Krankheit ihrer Schwester. In ihrem Wahn glaubte sie wohl, sie hätten das Essen vergiftet und so ihre Schwester krank gemacht. Deswegen gab sie der Schwester auch nichts mehr zu essen. Als sie schließlich abgeholt wurde, soll die Leiche nur noch 25   Kilo gewogen und wie eine
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