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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
Autoren: Ruth Rendell
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noch ihr volles Laub, und es hatte sich kaum verfärbt. Die Blütenpracht der Sommerblumen in den Töpfen, Kübeln und Balkonkästen wollte kein Ende nehmen und prangte noch üppiger als im August. Eigentlich wären inzwischen die ersten Nachtfröste fällig gewesen, aber bisher waren sie entgegen dem Trend ausgeblieben. Wenn das die globale Erwärmung war – etwas anderes konnte sich Wexford nicht vorstellen –, dann versteckte sie ihre Schreckensfratze hinter einer Maske milder Unschuld. Der Himmel, auf dem winzige weiße Puffwölkchen dahintrieben, war milchig blau wie im Hochsommer.
    Kaum war Wexford wieder auf dem Revier, rief er Burden an, aber die Voicemail des Inspectors erklärte ihm, dieser habe in einem der Vernehmungsräume zu tun. Vermutlich verhörte er gerade den minderjährigen Darrel Fincher, den man mit einem Messer aufgegriffen hatte. Jedes Wort des Jungen stand von vornherein fest, auch wenn man keinen Ton von der Unterredung hören konnte: Das Messer trage er zu seinem Schutz mit sich herum. Ohne ein Messer fühle er sich auf dem Heimweg von der Schule, oder wenn er abends ausging, nicht sicher. Daran seien nur »diese Scheißsomalis« schuld, würde er sagen. Die wären überall und hätten alle Messer. »Scheißsomalis« – so nannte man heutzutage Leute mit dunkler Hautfarbe, genau wie man früher sämtliche Orientalen wahllos als »Scheißpakis« bezeichnet hatte. Wexford konzentrierte sich wieder auf die Leiche aus Flagford. Vielleicht hatten sie Glück, und die Leiche hatte höchstens ein oder zwei Jahre im Boden gelegen. Vielleicht entpuppte sie sich als der Typ, der einige Zeit nach dem Einbruch bei einem Juwelier als vermisst gemeldet worden war. An den erinnerte er sich noch ganz genau. Oder es war die alte Frau, die in Forby allein in einem Cottage gelebt hatte. Nachdem sie ihre Tochter drei Monate nicht besucht hatte, war dieser plötzlich wieder eingefallen, dass sie eine Mutter hatte. Aber als sie hingefahren war, musste sie feststellen, dass die alte Frau anscheinend schon seit Langem verschwunden war. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine(n) dieser beiden Vermissten. Seltsam, dachte Wexford, dass der Tod und die danach einsetzende Verwesung alle Spuren von Alter, Geschlecht und typischen Merkmalen auslöschen, bis nur noch Knochen und ein paar Stofffetzen übrig bleiben. Und eine Hand, die eine Promenadenmischung mit Begeisterung ausgegraben hat. Wie tröstlich musste es gewesen sein, als Männer und Frauen – oder Frauen und Männer, wie Hannah sagen würde – noch daran geglaubt hatten, dass der Körper nur eine Hülle für den Geist war, der im Moment des Sterbens in ein Leben nach dem Tod oder ins Paradies entschwebte. In diesem Fall wäre es jedem tiefgläubigen Menschen ziemlich egal gewesen, ob er durch eine Messerklinge oder einen Knüppelhieb zu Tode kam oder ob sein Herz gemäß dem Lauf der Natur einfach stehen blieb.
    Wexfords Bürotür ging auf und brachte ihn aus seinen Betrachtungen über ein Dasein nach dem Tod wieder auf den Boden der aktuellen Tatsachen zurück. Burden kam hereinspaziert. »Du meinst das Grundstück in Flagford, auf dem der Mann mit dem Hund beim Gassigehen eine Leiche gefunden hat? Natürlich kenne ich den Besitzer. Den kennt doch jeder.«
    »Ich nicht«, konstatierte Wexford. »Außerdem, was soll das heißen: Den kennt doch jeder? Schließlich handelt es sich weder um den Tower von London noch um Harrods.«
    »Der Typ, dem das Grundstück gehört, erzählt jedem, wie übel ihm die Leute vom Bauamt mitgespielt haben. Das meine ich damit. Grimble heißt er, John Grimble. Einmal ist sogar ein Artikel über ihn im Courier erschienen. Er leidet unter Verfolgungswahn. Nach dem Tod seines Vaters – eigentlich war es ja sein Stiefvater – hat er den Bungalow und das damit verbundene Grundstück geerbt. Seither versucht er, eine Baugenehmigung zur Errichtung mehrerer Häuser auf diesem Grundstück zu erhalten. Er bildet sich ein, man hätte ihm, milde ausgedrückt, übel mitgespielt, weil man ihn lediglich ein Haus bauen lässt und nicht mehr.«
    »Wo wohnt er?«
    »In einer Parallelstraße von mir. Leider. Das muss der Typ, der mit dem Hund Gassi gegangen ist, doch gewusst haben.«
    »Er ist nicht Gassi gegangen. Er ist Trüffeljäger.«
    Burden, der normalerweise eine unbeteiligte Miene zur Schau trug, strahlte übers ganze Gesicht. »Ein Trüffeljäger ? Wirklich erstaunlich. Tuber aestivum , Tuber gibbosum , Tuber magnatum oder
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