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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
Autoren: Ruth Rendell
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andere trägt Billigklamotten.«
    Zwei Paare hatten das Restaurant betreten, gefolgt von einem einzelnen Mann. Matea tauchte aus der Küche auf. Sie bewegte sich so schnell, dass der Perlenvorhang klapperte. Ihre übliche Grazie war dahin. Während sie den neuen Gästen die Speisekarte reichte, schaute sie bewusst nicht zu ihrem Tisch herüber.
    Ohne auf ihr Verhalten einzugehen meinte Wexford: »Dieses Bild wird mir nicht so schnell aus dem Kopf gehen: Da saß der arme Teufel droben in einem Zimmer, das wir übrigens nie gesehen haben, vor einem fremden Manuskript, tippte das Ganze noch einmal ab, veränderte hier eine Kleinigkeit und da ein Wort und presste Hexhams garantiert überlegenen Stil in eine Form, die eher an seinen eigenen Schreibstil in diesen Bibelepen erinnert. Vielleicht gaben ihm diese Veränderungen das Gefühl, dass es doch nicht ganz falsch sei, was er tat. Mit Sicherheit hat er sich eingeredet, das fertige Opus … Denk nur mal, Mike, über fünfhundert Seiten in der Hardcover-Ausgabe! Wie viele Manuskriptseiten müssen das gewesen sein? Stell dir das mal vor, wie er geschuftet hat, um das Werk eines Fremden in sein eigenes zu verwandeln. Und das alles nur, damit er sich während der langen durchwachten Nächte einreden konnte, seine Tat wäre doch nicht ganz so schlimm, und es wäre kein richtiges Plagiat, weil doch der Autor gesagt hätte, er könne es haben.«
    Kein Wunder, dass er Gespenster gesehen hat, dachte Wexford, ohne es laut zu sagen. Ihr Hähnchen-Tikka und das Lamm-Korma kamen, gebracht vom Besitzer, der einen nervösen Eindruck machte. Kaum war er wieder weg, meinte Wexford, dass der Mann anscheinend Fragen wegen Mateas Benehmen befürchten würde. Eine Erklärung dafür erwartete sie nebenan auf dem Polizeirevier, aber vorher verspeisten sie erst einmal ihr Mittagessen.
    »Den armen Charlie Cummings hat man nie gefunden«, stellte Wexford fest.
    »Viele Vermisste werden nie gefunden, zum Beispiel Darracott.«
    »Ich weiß. Trotzdem hatte ich während des ganzen Falls die absurde Hoffnung, einer von uns würde irgendwo auf einen lebenden Cummings stoßen, dem es gut geht. Vermutlich sollte ich froh sein, dass wir ihn nicht tot gefunden haben. Und trotzdem liegt er irgendwo – tot. Seine Knochen ruhen in irgendeinem Weiher, einem See, einer Höhle oder in einer tiefen Grube. Irgendwie kommt es mir nicht richtig vor, wenn ein Mensch kein ordentliches Begräbnis erhält, auch wenn ich das nicht eindeutig begründen könnte.«
    Burden war immer unbehaglich zumute, wenn Wexford diesen Ton anschlug.
    »Was isst man denn in Usbekistan?«
    »Kamelfleisch«, sagte Wexford, der keine Ahnung hatte. »Yaks. Yetis. Nudeln. Wenn ich doch nur wüsste, was das Mädchen hat. Es beunruhigt mich.«
    Sie überquerten den Platz vor dem Polizeirevier. »Glaubst du, der Film wird trotzdem gedreht?«
    »Wenn nicht, wäre das für Sheila ein herber Schlag. Aber sie werden drehen, Mike. Hast du je einen Film gesehen, in dem der Name des Buchautors wichtig gewesen wäre? Oder dass ihn überhaupt jemand gekannt hätte?«
    Während sich Wexford mit dem diensthabenden Polizisten unterhielt, trat Karen Malahyde zu ihnen. Zum ersten Mal seit Monaten sprach sie Wexford mit »Sir« an.
    »Sir, das Sozialamt von Kingsmarkham hat Shamis Imran in Obhut genommen.«
    Wexford regte sich nicht. Er schien förmlich erstarrt zu sein und hielt den schweren Gips am Arm wie zur Verteidigung vor seinen Körper. »Musste das sein?«, fragte er schließlich.
    »Ich dachte, Sie würden sich freuen«, meinte Karen.
    »Tun Sie es denn?«
    »Wenigstens ist sie in Sicherheit, Guv.«
    »Vermutlich. In einer Hinsicht.«
    Er setzte sich Richtung Lift in Bewegung, wo ihn Burden einholte. »Das also lag bei Matea im Argen. Reg, es lässt sich nicht ändern. Solange Shamis zu Hause war, hätte nichts einen erneuten Versuch ihrer Eltern verhindern können. Man hätte eben ein anderes ›Tantchen‹ aus Somalia geholt.« Verblüfft sah Wexford ihn an. »Ja, ich weiß. Ich habe mich über Genitalverstümmelung informiert. Ich bilde mir ein, ich wüsste jetzt ungefähr, wie wichtig sie für diese Menschen ist. Es ist dasselbe, als wenn wir unsere Töchter nicht impfen lassen würden, ja sogar noch schlimmer. Als wenn wir unsere Töchter nicht zur Schule schicken würden.«
    Noch einmal betonte Wexford, dass auch er diese Vermutung teile. Während der Lift langsam in den zweiten Stock fuhr, sah er vor seinem inneren Auge die Imrans in ihrem
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