Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
mit dem Sendak-Buch und dem Eisbaby. Die seltsamen, kleinen Wichtelmänner kletterten mit dem Baby durchs Fenster und ließen das untergeschobene Kind zurück.
    Jetzt wußte er, was ihn irregeführt hatte: die ganze Geschichte von dem Mädchen und seiner kleinen Schwester war symbolisch und hatte einen psychologischen Hintergrund. Es hatte niemals ein Eisbaby gegeben. Unbewußt hatte das ältere Kind alles erfunden. Das Baby war immer dagewesen.
    Crick war mit dem Teetablett gekommen und wieder gegangen, doch Jury hatte es kaum bemerkt und auch das Gelächter vom Balkon nicht, das so fern schien. «Ich erhöhe auf zehn», hörte er Tommy sagen. Zehn Pence oder zehn Pfund? Das Geld, das ihm Sadie geschickt hatte.
    Ein weiteres Puzzleteilchen lag an seinem Platz. Sadie dürfte zu vorsichtig gewesen sein, als daß sie einen Scheck geschickt hätte, und es schien sich um eine größere Summe gehandelt zu haben. Jury trat auf den Balkon.
    «Tommy, wie hat dir deine Schwester eigentlich das Geld geschickt?»
    Tommy blickte erstaunt von seinen Karten auf. «Als Postscheck. Sie wollte wohl nicht, daß das Geld verlorengeht. Warum?»
    Jury machte sich auf die Suche nach einem Telefon.
     
    Wiggins hatte den Mund voller Kuchen, einem von denen, die zu Constable Plucks Stärkung gespendet wurden. Unverzüglich machte er sich daran, Jury mitzuteilen, daß Long Piddleton genau der Ort wäre, an den er sich gern versetzen ließe, vorausgesetzt, er könne seine Stirn- und Nebenhöhlen an die Landluft gewöhnen.
    Jury unterbrach ihn und erzählte ihm von dem Postscheck. «Dann kennen wir wenigstens Sadie Divers Unterschrift. Wahrscheinlich hat sie keinen Gedanken daran verschwendet und wenn, dann dürfte sie Simon Lean mit Sicherheit nicht erzählt haben, daß ihr Bruder auf Besuch kam.»
    «Es ist halb fünf, Sir. Ich mache mich sofort auf die Socken, aber die Postämter haben doch schon zu.»
    «Sie sollen ja auch keinen Brief aufgeben, Wiggins.»
    «Sir!» sagte Wiggins so zackig, wie es mit dem Mund voller Kuchen ging.

34
    «H ANNAH ?»
    Sie saß wieder auf der Bank in dem Boskett, wo er und Tommy auch schon gesessen und geredet hatten, wandte ihm den Kopf zu und blickte ihn an. Diesmal gelang es ihr nicht, ihre übliche unbewegte Miene zu machen. Er hatte sie schlicht erschreckt, und so wandte sie sich rasch wieder ab und schaute in den Korb auf ihrem Schoß, in dem ein paar Kamelienableger lagen.
    «Was dagegen, wenn ich mich setze?»
    Ihre Antwort darauf lautete: «Dann geben Sie mir also meinen Namen zurück. Vielen Dank.»
    Jury setzte sich neben sie und beobachtete sie. «O nein, ich glaube nicht, daß Sie mir wirklich danken wollen. Schließlich war es fast soweit, daß man Sie des Mordes an sich selbst bezichtigt hätte. Als Sadie Diver. Da hätte die Polizei von Northants aber dumm dagestanden. Stellen Sie sich nur die Publicity vor, wenn sich die letzte Nachfahrin einer alten und vornehmen Familie als Hochstaplerin herausstellt, welche die echte Enkeltochter und obendrein ihren eigenen Liebhaber ermordet hat. Ein gefundenes Fressen für die Medien.»
    Die Hände auf ihrem Schoß arbeiteten. Die Stimme, die antwortete, war ausdruckslos. «Keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich trage kein Verlangen nach Publicity, weiß Gott nicht.»
    Jury bot ihr eine Zigarette an. Sie schüttelte den Kopf. «Normalerweise wohl. Aber in diesem Fall hätte es, glaube ich, der Scharade nur nützen können. Wenn der Fall vor Gericht gekommen wäre – und genau das wollten Sie doch –, dann hätte die Publicity sich ausgezahlt.»
    Sie saß mit ihrem Korb voller Ableger so regungslos da wie die Statue am anderen Ende des Gartens. Sie sieht aus, als wolle sie auf der Stelle zu Stein werden, dachte Jury. «Wahrscheinlich wollen Sie meine Geschichte nicht hören, aber ich erzähle sie Ihnen trotzdem: Simon hat an jenem Abend das Haus verlassen, aber er kam nicht mehr dazu, nach London zu fahren. Er wollte sich später mit Diane Demorney im Sommerhaus treffen –»
    «Er hat aber das Auto genommen!»
    «Nein, hat er nicht. Das waren Sie. Da Sie Crick und Ihrer Großmutter erzählt hatten, daß er nach London wollte, mußten die beiden natürlich annehmen, daß er dort hinfuhr, als sie ihn fortgehen hörten. Als Crick Sie das letzte Mal sah, saßen Sie am Eßtisch und tranken Kaffee.» Da sie sich wieder in ihre Reglosigkeit zurückgezogen hatte, fuhr er fort: «Sie haben ihn umgebracht. Aber vorher haben Sie herausbekommen, daß er noch eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher