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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen
Autoren: Martha Grimes
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Verabredung hatte, im Pub ‹Stadt Ramsgate›. Ich könnte mir vorstellen, daß es den typischen kleinen Krach zwischen Ehemann und betrogener Ehefrau gegeben hat, der ihn aber ziemlich kalt ließ. Er hat dagesessen und Ihnen das Gesicht zugewandt, jedenfalls nach der Stoßrichtung der Waffe zu schließen. Dann haben Sie dreierlei getan: Es ist Ihnen gelungen, die Leiche in den secrétaire zu stopfen, falls irgend jemand – Diane Demorney vielleicht – hereinschauen sollte. Dann sind Sie ins Auto gestiegen und nach Wapping zu der Verabredung im ‹Stadt Ramsgate› gefahren.»
    Sie wollte gar nicht aufhören, den Kopf zu schütteln, schien ihren Ohren nicht zu trauen und lächelte verhalten. «Dreierlei. Was sollte das dritte sein?»
    «Sie haben den Brief geschrieben.»
    In ihren Augen lag blankes Erstaunen. «Den von dieser Firth? Du liebe Zeit, dann hätte ich doch wohl eher gesagt, er wäre von dieser anderen Person – dieser Diver, so hieß sie doch? Warum sollte ich einen so großen Umweg machen?»
    «Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie ihn verbrannt haben, Hannah. Alles was zu offensichtlich war, alles was direkt auf Sadie Diver hindeutete, hätte bei uns am Ende die Frage ausgelöst, ob die Fingerzeige nicht allzugut ins Bild paßten. Andererseits aber hätten wir von dem Mord an einer kleinen Friseuse aus Limehouse vielleicht gar keine Notiz genommen. Sie wollten, daß eine Verbindung zwischen den beiden Morden hergestellt wurde; sonst wäre Hannah Lean die Hauptverdächtige für den Mord an ihrem Mann gewesen. Ihr Verstand arbeitet subtiler als Simons; und der war auch nicht gerade dumm. Wenn er den Brief hätte verbrennen wollen, er hätte kaum monatelang damit gewartet. Ein Fehler Ihrerseits, so könnte man sagen. Aber das Schöne an der Sache war, daß er Ihnen die ganze Arbeit abgenommen hat.»
    «Das nennen Sie schön?» Sie wandte den Blick ab. «Und wie hätte ich wohl von Ruby Firth wissen sollen?»
    «Ihr Mann scheint seine Affären nicht geheimgehalten zu haben.»
    Jury wartete einen Augenblick in der vagen Hoffnung, daß Hannah Lean zu den Menschen gehörte, die vor lauter Stolz, daß sie die Polizei hinters Licht geführt haben, reden. Er wußte aber, daß sie nicht so war und es nicht tun würde.
    «Mein Mann hat sich mir nicht anvertraut», sagte sie trocken. «Höchst unwahrscheinlich, daß er mir alles über diesen ziemlich ausgeklügelten Mordplan erzählt haben sollte, den er sich zusammen mit seiner Geliebten ausgedacht hat.» Jetzt wandte sie ihm tatsächlich das Gesicht zu, blickte ihn an und lächelte unsicher, wie jemand, dem gerade eingefallen ist, wie man das macht.
    Jury fuhr fort: «Da ist die Kette, die ins Haus geliefert wurde. Vermutlich wollte Simon sie selbst in Empfang nehmen, aber er wußte, daß es kaum einen Unterschied machte, wenn Sie sie abfingen. Er konnte sie einfach als Geschenk ausgeben.»
    Wieder sah er nur ihr Profil, denn sie blickte gedankenverloren auf die Kamelien hinunter. Und dann sagte sie: «Ich habe keine Ahnung, von welcher Kette die Rede ist. Übrigens hätte Simon das nicht getan: er wußte, daß ich mir nichts aus Schmuck mache.»
    «Dann wollte er tatsächlich, daß Sie Verdacht schöpfen. Sie diente dazu, Sie zu einer Konfrontation mit seiner Geliebten nach London zu locken.» Auch wenn sie nichts zugibt, ihren eigenen Plan muß sie verteidigen, dachte Jury. «Und aus genau diesem Grund waren Sie entschlossen, die Wahrheit herauszubekommen, vor allem, da er sie Ihnen nicht geschenkt hatte. Als Sie wie gewohnt nach Northampton gefahren sind, haben Sie den Goldschmied aufgesucht. Er hat Sie wiedererkannt. Und da wußten Sie Bescheid. Wußten zumindest so viel, daß Sie argwöhnten, die beiden oder sie allein könnten auch zu Ihrem Anwalt gegangen sein. Sie haben ihn unter einem Vorwand angerufen, und er hat dann sicherlich so etwas gesagt wie: ‹Wie nett, daß Sie uns wieder einmal besucht haben, Mrs. Lean.› Alles mögliche hätte Ihren Verdacht bestätigen können, daß es eine zweite Besetzung für Sie gab.»
    Sie stellte den Korb mit den Ablegern beiseite, erhob sich und ging zu der Steinfigur. Ein Rotkehlchen flatterte aus der steinernen Schale auf. Sie stand da, kehrte ihm den Rücken zu und hatte die Hand auf den Rand gelegt. Ohne sich umzudrehen, sagte sie: «Und Sie haben den Jungen, diesen Tommy, hierhergebracht in der Hoffnung, er würde seine Schwester wiedererkennen.»
    Hat er das? Jury wußte, daß sie das gern angefügt hätte.
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