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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen
Autoren: Martha Grimes
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Bodenbedecker schlich, und auch mit ihr zusammen.
    Die weiße Katze war schon wieder da, lag zusammengerollt neben der steinernen Nymphe mit der wassergefüllten Schale. Tommy saß ihr gegenüber, hatte die Knie angezogen und spielte. Als er Jury sah, hörte er auf, schlug die Mundharmonika ein paarmal auf der Hand aus und steckte sie in die Tasche.
    Er stand nicht auf, sondern schlang die Arme um die Knie und sagte: «Deswegen haben Sie mich wohl nach Northants gebracht, was?»
    «Nicht nur deswegen, nein.»
    «Na schön, sie hat mich nicht erkannt, oder?»
    Jury sagte lediglich: «Und du? Hast du sie erkannt?»
    Mit einer heftigen Bewegung riß Tommy ein Büschel Gras aus, das hier im Boskett hoch stand, und ließ die Halme davonflattern. Die weiße Katze öffnete ein Auge, gähnte und döste dann weiter. «Sie würde nicht so tun, als ob sie mich nicht kennt. Nein, nicht Sadie.»
    Seine Stimme klang nicht recht überzeugt. Jury hatte Angst, daß ihm seine Traumwelt davonflatterte wie die Grashalme. «Nein, wohl kaum.» Eine lahme Antwort, doch mehr wußte er darauf nicht zu sagen.
    Aber wer tut es ihm denn an, Superintendent? Als sie auf das Haus zugingen, wollten ihm ihre Worte nicht aus dem Kopf gehen.
     
     
    Crick führte sie bei der langen Klettertour auf der Treppe, dann ging es den Flur entlang und hinein in Lady Summerstons Zimmer. Er meldete die Besucher formvollendet, und sie drehte sich auf ihrem Balkonplatz um und spähte ins düstere Dämmerlicht ihres Wohnzimmers.
    «Superintendent! Ich möchte doch hoffen, daß Sie inzwischen alles aufgeklärt haben.» Auf dem Stuhl neben ihr lagen die üblichen Alben – die Briefmarken, die Fotos –, und sie saß über der üblichen Patience. «Ich will keinen Wachtmeister mehr wie eine dunkle Säule vor meiner Tür stehen haben, ich sehe auch gar nicht ein, was er da soll. Alles ist sehr geheimnisvoll, und Sie sind hoffentlich gekommen, um es mir zu erklären. Wen haben wir denn da?»
    Als Tommy Diver aus dem dämmrigen Raum auf dem Balkon trat, blinzelte sie und kniff die Augen zusammen wie vorher er. Sie setzte ihre Brille auf. Doch dann sagte sie lediglich: «Also, du erinnerst mich an jemanden.»
    Das Foto dieses Jemand stand auf dem Tisch vor ihr, und selbst Jury konnte die Ähnlichkeit zwischen Tommy und Gerald Summerston sehen. Zum Glück (dachte er) zog sie diese Verbindung nicht. Jury hatte sich schon immer gefragt, ob alte Menschen sich wirklich soviel klarer an ihre Jugend erinnern als die jungen Menschen an den Tag zuvor. Eleanor Summerstons Erinnerungen jedenfalls beruhten auf Alben und vergilbten, wie die Fotos darin, immer mehr.
    Zum erstenmal, seit Tommy von Ardry End gekommen war, lächelte er. «Haben Sie ihn gern gehabt? Den, an den ich Sie erinnere?»
    Die Brille baumelte an dem schmalen Ripsband. Sie sagte: «Oh, gewiß doch. Spielst du gern Karten?» Als er sich einen Stuhl heranzog und sich gleich hinsetzte, schien sie in Festlaune zu geraten. «Wie wär’s mit Tee? Oder Bier. Das ist was für junge Leute, ich mochte es nie.»
    Jury stand daneben und blickte über die ausgetrockneten Wasserbecken zum See hin. Sie stand noch am gleichen Fleck und starrte übers Wasser. Die Sonne kam kurz heraus, verwischte ihren Umriß und ließ den See aufscheinen wie gesplittertes Glas. Es war Juni, das Licht jedoch winterlich.
    Tommy sagte, er würde gern Tee trinken; Lady Summerston entschied, daß es Kuchen dazu geben sollte. Er nahm die Karten auf, die sie ihm zugeschoben hatte, fuhr mit dem Daumen über die beiden Teile des Spiels und schob es ineinander. Das Kartenmischen verlieh ihm eine gewisse Autorität.
    «Ich lasse Crick nur eben das Tablett hochbringen.» Sie posaunte die Bestellung in die alte Sprechanlage. «Also! Was spielen wir? Du kannst nicht zufällig pokern, wie?»
    Genau die richtige Frage. Jury sah, wie es in Tommys Augen aufblitzte. «Hab ich schon als Kind gelernt.»
    Er legte das Spiel hin, damit sie abheben konnte.
    Jury ging wieder ins Wohnzimmer.
     
    In der dunklen Ecke standen oben auf der Kommode die Soldaten mit eingelegtem Bajonett und schußbereitem Gewehr. Er überlegte, wie Hannah Leans Kindheit ausgesehen haben mochte. Konnte sie wirklich glücklich gewesen sein, so ganz ohne Eltern? Das Gesicht, das ihn aus dem Gemälde oben über der Treppe anschaute, wirkte ernsthaft. War sie das als Kind gewesen? Hatte sie Spaß am Lernen gehabt, an Büchern …?
    Dabei fiel ihm die Buchhandlung ein, das eifrige kleine Mädchen
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