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Vom Geist der Dorsai

Vom Geist der Dorsai

Titel: Vom Geist der Dorsai
Autoren: Gordon R. Dickson
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Prolog
     
    Sie war groß und schlank und so blond, daß ihr Haar beinah weiß wirkte. Ihr Körper wies eine innere Spannkraft auf, die einen Mann sicherlich hätte steif wirken lassen. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen, und ihre grauen Augen blickten hinunter in das Dorsai-Tal, in dem Fal Morgan und die angrenzenden Heimstätten lagen. Ihrem Gesicht war der klassische Charakter eines Profils zu eigen, das auf eine silberne Münze geprägt war.
    „Amanda …“ sagte Hal Mayne mit weicher Stimme.
    Sie war in Gedanken versunken und hörte ihn nicht. Und der Situation des Augenblicks schien eine so ätherische Perfektion anzuhaften, daß ersieh dagegen sträubte, sie mit seinen Worten zu beeinträchtigen. Der poetische Teil seines Selbst, der nicht nur die langen Monate als gehetzter Partisan auf Harmonie überstanden hatte, sondern auch das Elend und die Brutalitäten im Gefängnis, bevor ihm die Flucht gelang, erwachte nun wieder und beobachtete sie. Sie saß hier auf dem Dach einer Welt der Krieger, unter einem strahlenden und wolkenlosen Himmel, zu einer Zeit, da sich die menschliche Rasse überall den Ketten einer neuen Sklaverei unterwarf, und sie trug einen unüberwindlichen Panzer aus Sonnenschein. Er stand neben ihr – ein ganzes Stück größer als sie, breit in den Schultern und doch von hagerer Gestalt, ein Körper, der aufgrund vieler Leiden und Entbehrungen kein Fett hatte ansetzen können –, und er kam sich wie eine Art großer schwarzer Vogel vor, der sich über eine rein geistige Entität beugte.
    Er wartete, und der Blick ihrer Augen kehrte in das Hier und Jetzt zurück. Schließlich wandte sie sich zu ihm um, und es war, als seien sie so weit voneinander getrennt gewesen, daß seine ihren Namen sprechende Stimme Abgründe aus Raum und Zeit hatte überbrücken müssen und sie erst jetzt erreichte.
    „Haben Sie etwas gesagt?“ fragte sie.
    „Ich wollte gerade meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, wie sehr Sie jenem Bild ähneln … dem der ersten Amanda Morgan“, erwiderte er. „Es könnte ein Bild von Ihnen sein.“
    Sie lächelte dünn.
    „Ja“, sagte sie. „Ich sehe ihr sehr ähnlich, ebenso wie der zweiten, die diesen Namen trug. So etwas kommt vor.“
    „Es ist dennoch sonderbar, wenn man bedenkt, daß es in zweihundert Jahren nur drei Frauen dieses Namens in Ihrer Familie gab“, sagte er. „Liegt es vielleicht einfach daran, daß sie das Gemälde in dem gleichen Alter anfertigen ließ, in dem Sie nun sind?“ fragte er.
    „Nein. “ Sie schüttelte den Kopf. „Das trifft nicht zu.“
    „Das trifft nicht zu?“
    „Nein. Das Bild, das Sie in unserer Halle sahen, entstand, als sie viel älter war als ich jetzt.“
    Er runzelte die Stirn.
    „Sie können mir glauben“, sagte sie. „Wir Morgans altern sehr langsam – und sie war in gewisser Weise außergewöhnlich.“
    „Nicht so außergewöhnlich wie Sie“, sagte er. „Das konnte sie gar nicht sein. Sie sind eine Dorsai – das Endergebnis einer langen Entwicklung. Sie lebte zu einer Zeit, als Menschen wie Sie noch nicht das waren, was sie heute sind.“
    „Das stimmt nicht“, widersprach die dritte Amanda. „Sie war eine Dorsai, bevor es überhaupt die Welt Dorsai gab.“
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    „Wie können Sie so sicher darüber sein, was sie war? Es ist zweihundert Standardjahre her …“
    „Wie ich das kann?“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Ich bin sie, in vielerlei Hinsicht.“
    Er musterte sie.
    „Eine Reinkarnation?“
    „Nein“, antwortete sie. „Das eigentlich nicht. Aber etwa so, als … spielte die Zeit keine Rolle. Als wäre das alles ein und dasselbe … sie dort, am Anfang unserer Kultur, und ich hier, am …“
    „Am Ende davon“, vervollständigte er den Satz.
    „Nein.“ Sie sah ihn ruhig aus jenen grauen Augen an. „Das Ende kommt erst dann, wenn der letzte Dorsai tot ist. Und tatsächlich nicht einmal dann. Sie wird erst dann zu Ende sein, wenn der letzte Mensch gestorben ist – denn das, was uns zu Dorsai macht, stellt ein Teil der Wesensart aller Menschen dar. Es handelt sich um jenes Charakteristikum, das die erste Amanda besaß, als sie geboren wurde, fern auf der Erde.“
    Irgend etwas, vielleicht der Schatten eines herabschießenden Vogels, schirmte für den Bruchteil einer Sekunde das Sonnenlicht von seinen Augen ab.
    „Sie halten sehr viel von ihr“, gab Hal Mayne nachdenklich zurück. „Doch wenn die anderen Welten das Wort ‚Dorsai’
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