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Das Rosenhaus

Das Rosenhaus

Titel: Das Rosenhaus
Autoren: Sarah Harvey
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    1
    P eter Trevethan war die fünf Stunden von Truro nach Lon
don ohne Pause durchgefahren. Er hatte die Reise – wie alles in seinem Leben –
mit einem bestimmten Ziel vor Augen angetreten, und jede Unterbrechung hätte
ihn nur unnötig aufgehalten. Als er dann im Londoner Berufsverkehr feststeckte,
ließ er mit der gewohnten Geduld und wie immer gut gelaunt die CD ein ums andere Mal abspielen und freute sich, dass der stockende Verkehr es ihm
erlaubte, mit den Fingern im Takt zur Musik aufs Lenkrad zu trommeln. Es hatte
ja doch keinen Sinn, sich aufzuregen, er konnte ja nichts daran ändern.
    Außerdem war es schon ein halbes Jahr her, seit er zuletzt in London
gewesen war, und die Betriebsamkeit der Metropole bescherte ihm ein wohliges
Kribbeln. Würde er immer noch täglich pendeln, hätte er den Stau natürlich auch
ertragen, aber vielleicht nicht gerade mit dem Lächeln, das jetzt sein
jungenhaftes Gesicht zierte. Er sog die warme, beißende, schmutzige Londoner
Luft ein und freute sich auch daran, wie es nur jemand konnte, der lange genug
weg gewesen war, um sich gründlich davon erholt zu haben.
    Peter empfand einen Anflug von Bedauern, aus dieser Stadt weggezogen
zu sein, in der er so viele Jahre seines jungen Erwachsenenlebens verbracht
hatte, bereute seine Entscheidung aber nicht. Er bog in den Ladbroke Grove ab
und dann schließlich in die kleine, ihm so vertraute Seitenstraße in Notting
Hill, wo sich die viktorianischen Häuser Schulter an Schulter aufreihten und
der Kampf um Parkplätze zu erbitterten Fehden unter den nach außen so
anständigen Anwohnern führte. Als er mit etwas Glück einen dieser kostbaren
Plätze eroberte, bemerkte er, dass sein bester Freund Liam bereits breit
lächelnd am Fenster seines Arbeitszimmers nach ihm Ausschau hielt. Und dicht
hinter ihm stand auch schon Lily.
    Nur wenige Sekunden später kamen beide aus dem Haus gestürzt, um ihn
zu begrüßen, und stritten sich darum, wer ihm als Erstes um den Hals fallen
durfte. Ihre unverhohlene Freude über seine Ankunft machte ihm ein schlechtes
Gewissen, weil sein letzter Besuch so viele Monate her war. Natürlich hatte das
seine Gründe, aber die behielt er zunächst für sich.
    Nachdem er seine Tasche im Gästezimmer abgestellt hatte, nahm er an
dem Tisch in Liams und Lilys kleiner, gemütlicher Küche Platz. Der geschnitzte
Holzstuhl war einen Tick zu klein für seine massige Gestalt und darum ein wenig
unbequem.
    Peter räkelte sich und streckte seinen strapazierten Rücken. Die
Geräusche eines frühen Freitagabends in London drangen über den winzigen Garten
zu ihnen herein – das ungeduldige Hupen der im Stau stehenden Autos, das zum
Glück weit entfernte Schlagen eines Presslufthammers, die Sirene eines
Polizeifahrzeugs, das sich einen Weg durch den zum Erliegen gekommenen Verkehr
auf der Holland Park Avenue bahnen wollte, das Geschrei von Kindern, die sich
vor ihrem mit zwei Pulloverhaufen markierten Tor über einen Elfmeter stritten.
    Es war Anfang September. Der Sommer ging gerade in einen
wunderschönen Herbst über, und die Hortensie im Garten bog ihre Zweige unter
der Last der Blüten bis aufs Gras hinunter. Der Duft des Geißblatts vermischte
sich mit dem Geruch nach Essen. Peter zog die Schuhe aus, streckte nun auch
noch die Füße und schwelgte in dem Gefühl, zu Hause zu sein. Er genoss die
Wärme, den Duft von Knoblauch, das Bukett des vollmundigen, fruchtigen
Rotweins, von dem Liam ihm ein Glas eingeschenkt hatte, und die Gegenwart
seiner beiden allerbesten Freunde.
    Lily machte eine kurze Kochpause, nahm das Glas entgegen, das Liam
ihr reichte, und strich sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haars aus dem
Gesicht. Die Freude über Peters Besuch ließ sie mit ihrer Küche um die Wette
strahlen.
    »Auf gute Freunde.« Liam hob das Glas, Lily trat auf Peter zu und
stieß mit ihm an.
    »Und auf gutes Essen«, fügte Peter hinzu. »Du kannst dir gar nicht
vorstellen, wie sehr ich deine Kochkünste vermisst habe, Lily.«
    »Aber ich will doch nicht hoffen, dass das alles ist, was du
vermisst hast!« Sie lachte und hauchte ihm einen Kuss auf die dunklen Haare.
    »Natürlich nicht.«
    Peter sah zu ihr auf und lächelte. Dann genehmigte er sich einen
großen Schluck Wein, bevor er das Glas abstellte, um das Gespräch fortzusetzen
und zum eigentlichen Anliegen seines Besuches zu kommen.
    »Ich vermisse euch beide sehr. Einer der Hauptgründe, weshalb ich
hier bin.«
    »Neben deiner Absicht, vor uns mal
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